Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 204/62, Bd. 12, Bl. 38-42
Das Ministerium für Staatssicherheit nahm die Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach dem Mauerbau genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt Erich Mielke über die Situation im Grenzgebiet.
Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 verließen über drei Millionen Menschen die DDR. Dieser Aderlass verursachte enorme wirtschaftliche Schäden, denn viele junge, gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger flohen in den Westen. Diese "Abstimmung mit den Füßen" widersprach zudem der propagierten Überlegenheit des "real existierenden Sozialismus", worunter das politische Ansehen der SED litt.
Mit dem Bau der Berliner Mauer gelang es den DDR-Machthabern zwar die zuletzt dramatisch anwachsende Fluchtbewegung einzudämmen, vollständig gestoppt konnte sie jedoch nicht werden. In den ersten Monaten gab es im Sperrsystem noch erhebliche Lücken. Nur allmählich gelang es DDR-Sicherheitsbehörden diese zu schließen. Für die Staatssicherheit wurde die vorsorgliche Verhinderung weiterer sogenannter "Republikfluchten" zu einer zentralen Aufgabe und legitimierte aus ihrer Sicht die möglichst lückenlose Überwachung aller Lebensbereiche der DDR-Bürger.
Die Staatssicherheit nahm kritische Stimmungen und aufkeimende Proteste unmittelbar nach der Grenzschließung genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete etwa die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet. Das vorliegende Schreiben an Erich Mielke vom 21. September 1961 dokumentiert eine Reihe "negativer" Äußerungen aus dem Raum Plauen. Daraus geht hervor, dass die Fluchtbewegung keineswegs vollständig gestoppt werden konnte und durch die Befürchtung neuer Zwangsumsiedlungen aus dem Grenzgebiet weiter genährt wurde.
Und in der Tat plante die SED-Führung zur "Erhöhung der Sicherheit an der Staatsgrenze West" 1961 erneute Zwangsumsiedlungen. Unter der Bezeichnung Aktion "Festigung" begann in den Morgenstunden des 3. Oktobers 1961 die Vertreibung tausender Menschen aus dem Grenzgebiet, die als "Unsicherheitsfaktoren" galten.
und man sollte sich das besser überlegen.
In Ottengrün brachte der [geschwärzt] zum Ausdruck, daß die Schutzmaßnahmen an der Staatsgrenze West zu hart sind. Er will auch nicht mehr zur Arbeit gehen, wenn er keinen Pasaierschein in das 500 m Sperrgebiet erhält.
Die [geschwärzt] äußerte ihr Mißfallen darüber, daß sie ihre Eltern in Posseck nicht mehr besuchen darf.
Als im Grenzgebiet bekannt wurde, daß keine Hochkulturen mehr in Grenznähe angebaut werden sollen, äußerte der [geschwärzt] der LPG "Thälmann Pionier" in Posseck, [geschwärzt], sollen sie machen was sie denken, für uns langt es ja.
Der [geschwärzt], ebenfalls Angehöriger der LPG Thälmann Pionier und Mitglied der SED,äußerte dazu: Es wird alles Viehweide, wieviel uns da wieder verloren geht und an die gesamte Grenze kommt 2-mal Stacheldraht.
So gibt es im Grenzgebiet zu diesem Problem viele Diskussionen wo zum Ausdruck gebracht wird, daß die LPG's damit eine große Einbuße haben und der Wert der Arbeitseinheit erheblich sinken wird.
Weiterhin gibt es Diskussionen und Gerüchte zu der bevorstehenden Säuberungsaktion im Grenzgebiet.
So äußerte z. B. die [geschwärzt], in einem Gespräch mit dem [geschwärzt]: "Man darf jetzt nicht mehr so viel sagen, es werden ja jetzt wieder welche aus dem Sperrgebiet ausgesiedelt." Sie gab an, daß sie es von einer Frau erfahren hätte, deren Namen sie aber nicht nennen würde.
In Gutenfürst äußerte der [geschwärzt], welcher mit zur Aussiedlung steht, gegenüber einem IM am 17.09.61: "Am 20.09. findet im Grenzgebiet eine große Säuberungsaktion statt, man hätte mit dieser Maßnahme vorerst noch warten wollen bis die Wahlen vorbei sind." Er gab dem IM gegenüber an, daß er dies von einer zuverlässigen Person hätte und er die Wahrheit dieser Worte nicht anzweifeln würde. Den Namen dieser Person nannte er nicht.
Seit dem 13.08.61 ist die Zahl der Personen, die versuchen die Staatsgrenze West illegal zu überschreiten, bereits angestiegen. Es wird dabei zu den raffiniertesten Methoden gegriffen.
So versuchte z.B. ein Eisenbahner über die Staatsgrenze West zu gelangen, indem er sich unter die Kohlen eines Eisenbahnwagens versteckte.
Eine Person verkleidete sich als Eisenbahner und lief die Bahnlinie, die über Gutenfürst nach WD geht, entlang. Er kam durch den gesamten Bahnhof Gutenfürst und wurde erst von der Wärterin des letzten Postens vor der Grenze gestellt.
2 Jugendliche, die sich dem Dienst in der NVA entziehen wollten, bestiegen in K-M-Stadt den I-Zug Dresden-München verbargen sich unter den Sitzbänken eines Wagens 1. Klasse und hatten extra Brttter mitgebracht. mit welchen sie den Sitz von unten herauf zu bauten, damit niemand unter die Sitzbank sehen konnte. Diese Personen wurden vom AZKW Gutenfürst festgenommen.
Im Krs. Oelsnitz gelang es einem Fuhrunternehmer aus Leßbach Krs. Plauen, mit seiner Frau und seinem Sohn, illegal die Staatsgrenze zu überschreiten. Dieser Fuhrunternehmer hatte den Passierschein für das Grenzsperrgebiet sowie dem 500 m Schutzstreifen. Er fuhr mit seinem Wagen bis 20 m vor den 10 m Streifen und kam infolge versagens nicht mit dem Wagen über die Grenze. Er holte daraufhin seine Frau, die er auf dem LKW in einem Faß verborgen hatte, aus diesem Faß und überschritt mit seiner Frau und seinem Sohn die Staatsgrenze.
Viele Personen kommen mit Krad oder PKW ins 5 km Sperrgebiet
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
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Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 204/62, Bd. 12, Bl. 38-42
Das Ministerium für Staatssicherheit nahm die Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach dem Mauerbau genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt Erich Mielke über die Situation im Grenzgebiet.
Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 verließen über drei Millionen Menschen die DDR. Dieser Aderlass verursachte enorme wirtschaftliche Schäden, denn viele junge, gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger flohen in den Westen. Diese "Abstimmung mit den Füßen" widersprach zudem der propagierten Überlegenheit des "real existierenden Sozialismus", worunter das politische Ansehen der SED litt.
Mit dem Bau der Berliner Mauer gelang es den DDR-Machthabern zwar die zuletzt dramatisch anwachsende Fluchtbewegung einzudämmen, vollständig gestoppt konnte sie jedoch nicht werden. In den ersten Monaten gab es im Sperrsystem noch erhebliche Lücken. Nur allmählich gelang es DDR-Sicherheitsbehörden diese zu schließen. Für die Staatssicherheit wurde die vorsorgliche Verhinderung weiterer sogenannter "Republikfluchten" zu einer zentralen Aufgabe und legitimierte aus ihrer Sicht die möglichst lückenlose Überwachung aller Lebensbereiche der DDR-Bürger.
Die Staatssicherheit nahm kritische Stimmungen und aufkeimende Proteste unmittelbar nach der Grenzschließung genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete etwa die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet. Das vorliegende Schreiben an Erich Mielke vom 21. September 1961 dokumentiert eine Reihe "negativer" Äußerungen aus dem Raum Plauen. Daraus geht hervor, dass die Fluchtbewegung keineswegs vollständig gestoppt werden konnte und durch die Befürchtung neuer Zwangsumsiedlungen aus dem Grenzgebiet weiter genährt wurde.
Und in der Tat plante die SED-Führung zur "Erhöhung der Sicherheit an der Staatsgrenze West" 1961 erneute Zwangsumsiedlungen. Unter der Bezeichnung Aktion "Festigung" begann in den Morgenstunden des 3. Oktobers 1961 die Vertreibung tausender Menschen aus dem Grenzgebiet, die als "Unsicherheitsfaktoren" galten.
und geben an, daß sie sich verfahren haben oder ähnliche billige Ausreden. Ein Teil davon gibt dann in der Vernehmung zu, daß sie illegal über die Staatsgrenze wollten und der andere Teil bleibt hartnäckig auf der jeweils gefundenen Ausrede bestehen und wird dann als MVO-Verletzer abgestraft und nach Hause entlassen. Zu erwähnen ist, daß besonders viel Jugendlichen männliche Personen, die sich dem Dienst in der NVA entziehen wollen, versuchen die DDR illegal zu verlassen.
Zu 2)
Schwächen und Hemmnisse bei der Durchsetzung der Politik von Partei und Regierung kam in der vergangenen Zeit besonders dadurch zum Ausdruck, daß die eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen schon vor ihrer Durchführung im Grenzgebiet bekannt wurden, was vor allen Dingen auf Schwatzhaftigkeit von Funktionären der Grenzorte zurückzuführen ist.
So äußerte z. B. der [geschwärzt] aus der Grenzgemeinde Grobau im Krs Plauen gegenüber Einwohnern des Ortes, daß nach der Wahl 2 Bauern und 2 Arbeiter aus Grobau ausgeseidelt werden und mit weiteren 11 Bürgern von Grobau harte Aussprachen geführt werden. Auch [geschwärzt] sprach in der Schule über Aussiedlungsmaßnahmen. Obwohl der [geschwärzt] keine konkrete Kenntnis von der bevorstehenden Aktion hatte, muß er doch bei einer Besprechung in der Kreisleitung etwas von diesen Maßnahmen erfahren haben.
Solche Dinge traten in vielen Orten des Grenzgebietes auf und auch das unter Punkt 1 genannte Beispiel von Gutenfürst zeigt, daß es Funktionäre gibt die nichts für sich behalten können und dadurch unnötige Gerüchte im Grenzgebiet auftauchen und dem Feind eine Handhabe gegeben wird.
Ein weiteres Problem ist die Frage der Passierscheine, wo es auf der einen Seite durch die VPKÄ Überspitzungen gibt und auf der anderen Seite Ausnahmen gemacht werden, die Unruhe unter die Grenzbevölkerung bringen.
So wollte z. B. ein Förster aus Geilsdorf am 26.8.1961 in Berglas heiraten, weil seine Frau schon immer dort wohnt. Er erhielt jedoch keine Einreise und mußte in Oelsnitz heiraten. Er äußerte daraufhin: "Nun können sie nicht mehr auf mich rechnen, wenn sie mich einmal brauchen."
Weiterhin gab es solche Dinge, daß Eheleute, welche noch keine gemeinsame Wohnung haben, den Ehepartner im 5 km Sperrgebiet nicht besuchen durften. So konnte z. B. die [geschwärzt] ihren Ehemann, welcher in [geschwärzt] wohnhaft ist, nicht besuchen. Auf der anderen Seite konnten jedoch Personen, die ehemals aus dem Grenzgebiet ausgesiedelt waren, ihre Verwandten in Krebes und Ruderitz besuchen. Dabei muß erwähnt werden, daß besonders bei den VPKÄ's , die in den rückwärtigen Gebiet liegen, bis vor kurzem noch keine klare Linie vorhanden war.
Zu 3)
Die Tätigkeit des Gegners konzentrierte sich auf eine aktive Aufklärungs- und Sicherungstätigkeit, wobei erwähnt werden muß, daß besonders in der letzten Zeit die Sicherungstätigkeit nachgelassen hat. Es wurde bekannt, daß es Personen, die illegal die Grenze überschreiten, möglich ist, auf westlicher Seite unkontrolliert ins Hinterland zu gelangen.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 204/62, Bd. 12, Bl. 38-42
Das Ministerium für Staatssicherheit nahm die Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach dem Mauerbau genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt Erich Mielke über die Situation im Grenzgebiet.
Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 verließen über drei Millionen Menschen die DDR. Dieser Aderlass verursachte enorme wirtschaftliche Schäden, denn viele junge, gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger flohen in den Westen. Diese "Abstimmung mit den Füßen" widersprach zudem der propagierten Überlegenheit des "real existierenden Sozialismus", worunter das politische Ansehen der SED litt.
Mit dem Bau der Berliner Mauer gelang es den DDR-Machthabern zwar die zuletzt dramatisch anwachsende Fluchtbewegung einzudämmen, vollständig gestoppt konnte sie jedoch nicht werden. In den ersten Monaten gab es im Sperrsystem noch erhebliche Lücken. Nur allmählich gelang es DDR-Sicherheitsbehörden diese zu schließen. Für die Staatssicherheit wurde die vorsorgliche Verhinderung weiterer sogenannter "Republikfluchten" zu einer zentralen Aufgabe und legitimierte aus ihrer Sicht die möglichst lückenlose Überwachung aller Lebensbereiche der DDR-Bürger.
Die Staatssicherheit nahm kritische Stimmungen und aufkeimende Proteste unmittelbar nach der Grenzschließung genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete etwa die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet. Das vorliegende Schreiben an Erich Mielke vom 21. September 1961 dokumentiert eine Reihe "negativer" Äußerungen aus dem Raum Plauen. Daraus geht hervor, dass die Fluchtbewegung keineswegs vollständig gestoppt werden konnte und durch die Befürchtung neuer Zwangsumsiedlungen aus dem Grenzgebiet weiter genährt wurde.
Und in der Tat plante die SED-Führung zur "Erhöhung der Sicherheit an der Staatsgrenze West" 1961 erneute Zwangsumsiedlungen. Unter der Bezeichnung Aktion "Festigung" begann in den Morgenstunden des 3. Oktobers 1961 die Vertreibung tausender Menschen aus dem Grenzgebiet, die als "Unsicherheitsfaktoren" galten.
Der Amerikaner fuhr sehr oft die bereits bekannten Beobachtungspunkte an und tauchte vor allen Dingen am Kastenwald bei Sachsenvorwerk auf, wo er einen neuen Stützpunkt gebaut hat. Er trat dort teilweise bis zu einer Stärke von 40 Mann auf und es landen dort in letzter Zeit sehr oft Hubschrauber.
Auch der BGS trat an dieser Stelle in einer Stärke bis zu 90 Mann auf. Dabei werden Einweisungen in unser Gebiet durchgeführt und Einzeichnungen in Karten getätigt.
Die Provokationen des Gegners haben nachgelassen und es ist nur vereinzelt Ansprechen von Posten zu verzeichnen.
Weiterhin gibt es im Raum Heinersgrün Anzeichen einer feindlichen Schleusungstätigkeit. Dort war in der Vergangenheit mehrmals zu verzeichnen, daß Grenzübertritte West-DDR stattfinden. Es wurde dazu bekannt, daß eine Frau an diesem Punkt die Grenze überschreiten soll. Diese Angelegenheit wird in Zukunft verstärkt in Bearbeitung genommen.
Zu 4)
Fehlmeldung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Bericht der BV Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet zur Bundesrepublik Dokument, 4 Seiten
Bericht der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt nach Abschluss der Zwangsumsiedlungen 1961 Dokument, 3 Seiten
Analyse der Stimmung der Bewohner des Grenzgebietes in Berlin-Mitte vom 21. Februar 1962 Dokument, 2 Seiten
Bericht über die Stimmung unter den Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei Dokument, 9 Seiten