Erster Bericht nach der Pilotsendung von Radio Glasnost
Signatur: BStU, MfS, Sekr. Schwanitz, Nr. 145, Bl. 31-32
Mit der Pilotsendung von Radio Glasnost im Juli 1987 überraschte die DDR-Opposition das MfS. Die Radiosendung mit ihren Berichten über die ostdeutsche Protestbewegung wurde sofort nach der ersten Ausstrahlung genau analysiert.
Die Sendung "Radio Glasnost - Außer Kontrolle" mit Beiträgen "aus und über die DDR" wurde von dem privaten Alternativkanal Radio 100 in West-Berlin einmal monatlich ausgestrahlt. Das einstündige Programm war zwischen Juli 1987 und dem Mauerfall sowohl im Westen als auch im Osten Berlins zu empfangen. In einer kurzen Pilotsendung kündigte Moderatorin Marenbach am 22. Juli 1987 an, von nun an würden auf diesem Sendeplatz Oppositionelle aus der DDR zu Wort kommen. Deren Beiträge und Diskussionen wurden in Ostdeutschland formuliert oder aufgenommen, über die Grenze geschmuggelt und dann von Radio 100 in West-Berlin ausgestrahlt. Bis November 1989 verband Radio Glasnost auf diesem Wege die Ost-Berliner Opposition mit der freien Welt.
In der DDR waren Reinhard Schult, Ralf Hirsch und andere für Texte und Organisation verantwortlich. Eine kleine West-Berliner Redaktion, gegründet durch den Radio-100-Redakteur Dieter Rulff und den aus der DDR ausgebürgerten Oppositionellen Roland Jahn, sorgte dann dafür, dass die Beiträge im privaten Radio 100 einen festen Sendeplatz bekamen. Es dauerte nicht lange, bis Radio Glasnost sein Publikum in der DDR gefunden hatte. Auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde hellhörig und wertete alle Sendungen im Detail aus. Die Geheimpolizei fahndete nach den Urhebern und untersuchte, welchen Einfluss die Beiträge auf DDR-Bürger haben könnten. Auch erschwerte die Stasi den Empfang von zwei Sendungen durch Störsender.
Obwohl das MfS von der ersten Ausstrahlung etwas überrascht wurde, fasste es dann die Pilotsendung detailliert zusammen. Aufgelistet wurden die angesprochene Themen, Aufforderungen und Ziele der Sendung.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Sekretariat Schwanitz
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- 24. Juli 1987
- Rechte:
- BStU
- Zustand:
- Gut
- Überlieferungsform:
- Dokument
[Handschriftliche Ergänzung: Schwanitz]
Zentrale Auswertungs-und Informationsgruppe
Berlin, 24. Juli 1987
"Radio 100" - Frequenz: 100,6 MHz, Sendezeit: täglich von 19.00 - 23.00 Uhr
Am 22.07.1987 wurde von "Radio 100" im Rahmen des politischen Magazins "Checkpoint" (täglich von 19.45 bis 20.30 Uhr) eine Pilotsendung mit der Bezeichnung "Radio Glasnost" ausgestrahlt. Als Ziel dieser und weiterer Sendungen wurde genannt, eine kontinuierliche "Hintergrundberichterstattung" über die DDR aufzubauen.
Es sollen heute zu Wort kommen, die in der DDR leben oder lange dort gelebt haben. Interesse hätte man besonders an der "Opposition" in der DDR.
Für Sendungen dieser Art gebe es in der DDR einen Bedarf. Dem Sender seien Bänder zugespielt worden, "von Leuten, die in der DDR aktiv sind".
Man wolle nicht nur jene in der DDR erreichen, die schon in der Vergangenheit die Westmedien für sich genutzt haben; es gehe darum, die "gesamte Breite der Bewegung in der DDR" widerzuspiegeln.
Es interessierten nicht nur politische Analysen; auch die "Gegenkultur" in der DDR soll vorgestellt werden, von Musikproduktionen Literatur oder was immer auch einfalle. Wichtig sei, daß alle, die sich über die DDR äußern wollen, dem Sender Material zukommen lassen. Nur dann könne "Radio Glasnost" eine regelmäßige Sendereihe werden.
Gesendet soll alles werden, was technisch einigermaßen sendefähig ist.
Die erste Sendung befaßte sich mit den "Schwierigkeiten", die einzelne Funktionäre in der DDR mit der Politik von Gorbatschow haben, ebenso wie die, die das neue Denken von unten her in der DDR verbreiten wollen.
Das Manuskript der Pilotsendung sei aus "Ostberlin" gekommen. Zum Inhalt u. a.:
- Mit Hinweis auf Gorbatschows Glasnost wird den sozialistischen Staaten,besonders der DDR, die gegenteilige Politik unterstellt.
- Lieder von Stefan Krawczyk: "Der große und der kleine Bruder" und "Was uns an die Leine legt".
- Hinweise auf "illegale Aktionen" in der DDR-Hauptstadt
- April, S-Bahnhof Prenzlauer Allee, Gorbatschow-Bilder mit Text geklebt;