Signatur: BStU, MfS, JHS, Nr. 21625, Bl. 1-36
Am 7. Dezember 1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des Stasi-Nachfolgers Amt für Nationale Sicherheit (AfNS). Die Diplomarbeit eines Stasi-Offiziers aus dem Bezirk Schwerin gibt ein Beispiel von der Stimmung in den Regionen während des Kurswechsels der Stasi-Spitze und des Auflösungsprozesses.
Mit der Wahl einer neuen Regierung durch die Volkskammer der DDR am 17. November 1989 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Das Amt unterstand nun nicht mehr direkt der SED-Führung, sondern dem Ministerpräsidenten. Dem AfNS unterstellt waren die Bezirks- und Kreisämter, ehemals Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS.
Im Dezember 1989 kam es in der DDR zum Übergang von der Liberalisierung des Regimes zur Doppelherrschaft: Am Zentralen Runden Tisch (und vielen Runden Tischen in den Bezirken) verhandelten nun die Kräfte des alten Regimes mit Vertretern der Bürgerbewegung über die Auflösung der Parteidiktatur. Vor allem der politische Protest auf der Straße richtete sich mehr gegen das bereits abgetretene Regime als gegen das neue Kabinett unter Hans Modrow, aber die Abrechnung mit den früheren Machthabern destabilisierte auch die Übergangsregierung.
Wesentlichen Anteil hatte daran eine Institution, die plötzlich zu Leben erwacht war: die Volkskammer. In ihrer Sitzung am 1. Dezember wurde die "führende Rolle" der SED "mit übergroßer Mehrheit" (also auch mit den Stimmen der SED-Abgeordneten) aus der Verfassung gestrichen. Für die politische Atmosphäre im Lande aber war noch wichtiger, dass ein Untersuchungsausschuss zu Amtsmissbrauch und Korruption einen ersten Bericht erstattete. Es ging um persönliche Bereicherung der alten Spitzengenossen (Erich Honecker, Günter Mittag, Harry Tisch usw.) und ihrer Familien auf Kosten der Staatskasse. Das wurde zu einem gewaltigen Skandal.
Die Stimmung in den Regionen war noch schlechter als in der Ost-Berliner Zentrale des Amts für Nationale Sicherheit. Als Beispiel dient die Schilderung jener Wochen durch einen Stasi-Offizier aus Hagenow im Bezirk Schwerin. Der Autor, Major Klaus-Peter Künzer, war damals 37 Jahre alt und Referatsleiter in der Kreisdienststelle Hagenow. Seine Arbeit ist eine der letzten Diplomarbeiten, die im Januar 1990 an der (kurz danach aufgelösten) Juristischen Hochschule des Staatssicherheitsdienstes eingereicht wurden. Offenbar ist der Text ein Versuch, sich selbst die aktuelle Entwicklung verständlich zu machen. Er enthält eine lebendige Schilderung davon, wie der Kurswechsel der Ost-Berliner Stasi-Spitze an der Basis aufgenommen wurde.
Diese Tatsache spiegelte sich auch im Stimmungs- und Meinungsbild der Mitarbeiter der KD Hagenow wider. Ursachen, Mangel, Mißstände wurden erkannt, deren Voraussetzungen zu Veränderungen aufgezeigt, die für uns vorhandenen Möglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft, aber reale Veränderungen kamen entweder überaus zögernd oder nicht.
Daraus resultierend, auch aufgrund der sich komplizierter gestaltenden Arbeit mit unseren Quellen, kamen verstärkt Zweifel an der Wirksamkeit und Notwendigkeit unserer Arbeit auf.
2.1. Zur Sicherung ökonomischer Schwerpunkte
Der Kreis Hagenow setzt sich ausgehend von seiner ökonomischen Bedeutung vorrangig aus folgenden Schwerpunktbetrieben zusammen, die auch im Mittelpunkt der vorbeugenden schadensabwendenden Abwehrarbeit der KD Hagenow standen:
Von vorrangiger Bedeutung aus abwehrmäßiger Sicht ist auf jeden Fall das zentralgeleitete Kombinat Fliesen und Sanitärkeramik Boizenburg zu nennen, mit Stammbetrieb und Kombinatsleitung in Boizenburg. Das Kombinat hat Zweigbetriebe u.a. in Dresden, Zwickau, Haldensleben und Karstadt. Daraus resultierten bereits seit Beginn der Kombinatsbildung erhebliche Schwierigkeiten bei der Organisation der Abwehr- und vorbeugenden schadensverhütenden Arbeit (territorial übergreifend). Da es sich bei der Fliesenproduktion um ein exportträchtiges Unternehmen handelt, welches in den letzten Jahren jedoch an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt hatte, bestand seitens der Parteiführung, eingebettet in die ökonomische Strategie, die Aufgabenstellung, über eigen-
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die seit 1951 bestehende Schule des MfS in Potsdam-Eiche wurde im Juli 1965 durch den DDR-Ministerrat in den Status einer Hochschule erhoben. Die JHS, MfS-intern teilweise auch nur als Hochschule des MfS bezeichnet, war zentrale Ausbildungs-, Studien- und Forschungseinrichtung. Der Studien- und Forschungsbereich bestand 1989 aus den Sektionen Marxismus/Leninismus, Politisch-operative Spezialdisziplin, Rechtswissenschaft, Sektion A (Schule der HV A in Gosen bei Berlin) und dem Institut für Internationale Beziehungen für die Ausbildung von "Kadern der Sicherheitsorgane befreundeter Staaten".
Der JHS war bis September 1989 die Juristische Fachschule mit dem Abschluss Fachschuljurist oder Staatswissenschaftler angeschlossen. Die Anzahl der Absolventen wird auf ca. 10 000 geschätzt.
Der Rektor der JHS (seit 1985 Willi Opitz) wurde vom Minister für Staatssicherheit ernannt. Die Anzahl der Studierenden im Hochschulstudium betrug 1 300 im Jahre 1988. Das vierjährige Direktstudium und das fünfeinhalbjährige Fernstudium hatten bis 1989 4 300 Absolventen mit dem akademischen Grad "Diplomjurist" abgeschlossen. Das Hochschulstudium war jedoch keine umfassende juristische Ausbildung für eine Tätigkeit als Richter oder Rechtsanwalt.
Den Schwerpunkt des Studiums mit einem Anteil von fast 40 Prozent bildeten die operativen Fachgebiete, d. h. die Theorie und Praxis eines Nachrichtendienstes. Das Lehrgebiet Rechtswissenschaft hatte nur einen Anteil von 20 Prozent. Das Praktikum bestand im Wesentlichen aus der Arbeit mit IM einschließlich der Anfertigung von Treffberichten.
Im Einigungsvertrag von 1990 wurde daher bestimmt, dass ein an der JHS erworbener Abschluss nicht zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufes berechtigt. Dagegen können die an der JHS erworbenen oder verliehenen akademischen Berufsbezeichnungen, Grade und Titel weiterhin geführt werden. 310 hatten an der JHS den Grad eines "Dr. jur.", 31 den eines "Dr. sc. jur." und 68 beide Doktorgrade erworben. Die Mehrzahl der Promovenden war in leitenden Positionen im MfS oder als Lehrkräfte an der JHS tätig. 41 Prozent der Leiter der obersten Diensteinheiten (HA, zentrale Gruppen, BV) hatten an der JHS promoviert.
Der Titel "Dr. sc. jur." wurde nur zweimal verliehen, und zwar 1969 an den ehemaligen Residenten des KGB in den USA, Rudolf Iwanowitsch Abel, und 1985 an den "Kanzleramtsspion" Günter Guillaume.
Die 175 in den Beständen der BStU vollständig vorliegenden Dissertationen und andere Forschungsarbeiten sind stark ideologisch orientiert und vermitteln einen Einblick in die Denk- und Arbeitsweise des MfS. Die 3.700 Diplomarbeiten sind näher an der Praxis orientiert und befassen sich im größeren Umfang mit der Tätigkeit der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen.
Die JHS wurde im November 1989 in Hochschule des Amtes für Nationale Sicherheit umbenannt und hat im Januar 1990 ihre Tätigkeit eingestellt.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Signatur: BStU, MfS, JHS, Nr. 21625, Bl. 1-36
Am 7. Dezember 1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des Stasi-Nachfolgers Amt für Nationale Sicherheit (AfNS). Die Diplomarbeit eines Stasi-Offiziers aus dem Bezirk Schwerin gibt ein Beispiel von der Stimmung in den Regionen während des Kurswechsels der Stasi-Spitze und des Auflösungsprozesses.
Mit der Wahl einer neuen Regierung durch die Volkskammer der DDR am 17. November 1989 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Das Amt unterstand nun nicht mehr direkt der SED-Führung, sondern dem Ministerpräsidenten. Dem AfNS unterstellt waren die Bezirks- und Kreisämter, ehemals Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS.
Im Dezember 1989 kam es in der DDR zum Übergang von der Liberalisierung des Regimes zur Doppelherrschaft: Am Zentralen Runden Tisch (und vielen Runden Tischen in den Bezirken) verhandelten nun die Kräfte des alten Regimes mit Vertretern der Bürgerbewegung über die Auflösung der Parteidiktatur. Vor allem der politische Protest auf der Straße richtete sich mehr gegen das bereits abgetretene Regime als gegen das neue Kabinett unter Hans Modrow, aber die Abrechnung mit den früheren Machthabern destabilisierte auch die Übergangsregierung.
Wesentlichen Anteil hatte daran eine Institution, die plötzlich zu Leben erwacht war: die Volkskammer. In ihrer Sitzung am 1. Dezember wurde die "führende Rolle" der SED "mit übergroßer Mehrheit" (also auch mit den Stimmen der SED-Abgeordneten) aus der Verfassung gestrichen. Für die politische Atmosphäre im Lande aber war noch wichtiger, dass ein Untersuchungsausschuss zu Amtsmissbrauch und Korruption einen ersten Bericht erstattete. Es ging um persönliche Bereicherung der alten Spitzengenossen (Erich Honecker, Günter Mittag, Harry Tisch usw.) und ihrer Familien auf Kosten der Staatskasse. Das wurde zu einem gewaltigen Skandal.
Die Stimmung in den Regionen war noch schlechter als in der Ost-Berliner Zentrale des Amts für Nationale Sicherheit. Als Beispiel dient die Schilderung jener Wochen durch einen Stasi-Offizier aus Hagenow im Bezirk Schwerin. Der Autor, Major Klaus-Peter Künzer, war damals 37 Jahre alt und Referatsleiter in der Kreisdienststelle Hagenow. Seine Arbeit ist eine der letzten Diplomarbeiten, die im Januar 1990 an der (kurz danach aufgelösten) Juristischen Hochschule des Staatssicherheitsdienstes eingereicht wurden. Offenbar ist der Text ein Versuch, sich selbst die aktuelle Entwicklung verständlich zu machen. Er enthält eine lebendige Schilderung davon, wie der Kurswechsel der Ost-Berliner Stasi-Spitze an der Basis aufgenommen wurde.
ständigen Rationalisierungsmittelbau einen Effektivitätsschub zu erreichen. Das drückte sich speziell in dem Parteiauftrag zum 40. Jahrestag der DDR aus, eine vollautomatische Fließlinie bis zur Massenproduktion von Fliesen zu installieren. Dabei zeigten sich jedoch Grenzen in bezug auf die Nutzung von in der DDR gesammelten Erfahrungen, insbesondere bei der Entwicklung der entsprechenden Einbrandöfen. Durch die Arbeitsergebnisse der KD Hagenow wurde wiederholt auf die dabei auftretenden objektiven Schwierigkeiten aufmerksam gemacht. Das erfolgte sowohl unmittelbar an die Kombinatsleitung, an den ZK-Beauftragten im Betrieb als auch über die entsprechenden innerdienstlichen Informationslinien. Dennoch wurden keine Entscheidungen zur Veränderung der Situation durch das Ministerium für Bauwesen getroffen, sondern immer neue Forderungen aufgemacht, die in keiner Weise dem Effektivitätsprinzip der ökonomischen Parameter entsprachen.
Rechtzeitig wurde in komplexen Informationen, auch an den 1. Sekretär der Kreisleitung, auf den tatsächlichen Realisierungsstand hingewiesen und aufgezeigt, daß der 40. Jahrestag der DDR als Endtermin nicht haltbar ist. Dennoch wurde vor dem 07.10.1989 durch den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Schwerin symbolisch die Produktion aufgenommen, mit dementsprechenden Medienveröffentlichungen. Das stieß bei den Beschäftigten dieses Betriebes und anderen einbezogenen Personen auf heftige Kritik.
Aus dieser Situation heraus entwickelten sich auch innere Widersprüche bei den für diesen Bereich zuständigen operativen Mitarbeitern bzw. mittleren Leitungskadern. Die vielfältigsten Aktivitäten zur Unterstützung der ökonomischen Strategie im Bereich Fliesenproduktion hatten zu keinen wirklichen operativen Ergebnissen geführt. Daraus läßt sich nur die Schlußfolgerung ableiten, daß die Strukturen in der Ökonomie als auch im MfS nicht geeignet waren, Veränderungen von unten nach oben einzuleiten bzw. zu erreichen. Reale objektiv notwendige Veränderungen scheiterten am subjektiven Festhalten bestimmter führender Kader an alt bewährten Methoden und Strukturen, politische Entscheidungen standen über ökonomischen Zwängen.
Operative Mitarbeiter
Operative Mitarbeiter des MfS waren Hauptamtliche Mitarbeiter, die IM und OibE führten, in MfS-Dokumenten auch als vorgangsführende Mitarbeiter oder IM-führende Mitarbeiter (umgangssprachlich Führungsoffiziere) bezeichnet, von denen es im MfS zuletzt etwa 12.000 bis 13.000 gab. Sie waren für eine Region oder Institution, für bestimmte Personenkreise oder spezifische Sachfragen zuständig und hatten die Sicherheitslage in ihrem Verantwortungsbereich zu beurteilen.
Es wurde von ihnen erwartet, dass sie insbesondere durch Rekrutierung und Einsatz von IM die "staatliche Sicherheit und die gesellschaftliche Entwicklung" vorbeugend sicherten. Verdächtige Personen waren in Operativen Vorgängen oder Operativen Personenkontrollen zu "bearbeiten", Personengruppen mit besonderen Befugnissen mit Sicherheitsüberprüfungen unter Kontrolle zu halten. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sollten sie das politisch-operative Zusammenwirken mit anderen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen nutzen.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die seit 1951 bestehende Schule des MfS in Potsdam-Eiche wurde im Juli 1965 durch den DDR-Ministerrat in den Status einer Hochschule erhoben. Die JHS, MfS-intern teilweise auch nur als Hochschule des MfS bezeichnet, war zentrale Ausbildungs-, Studien- und Forschungseinrichtung. Der Studien- und Forschungsbereich bestand 1989 aus den Sektionen Marxismus/Leninismus, Politisch-operative Spezialdisziplin, Rechtswissenschaft, Sektion A (Schule der HV A in Gosen bei Berlin) und dem Institut für Internationale Beziehungen für die Ausbildung von "Kadern der Sicherheitsorgane befreundeter Staaten".
Der JHS war bis September 1989 die Juristische Fachschule mit dem Abschluss Fachschuljurist oder Staatswissenschaftler angeschlossen. Die Anzahl der Absolventen wird auf ca. 10 000 geschätzt.
Der Rektor der JHS (seit 1985 Willi Opitz) wurde vom Minister für Staatssicherheit ernannt. Die Anzahl der Studierenden im Hochschulstudium betrug 1 300 im Jahre 1988. Das vierjährige Direktstudium und das fünfeinhalbjährige Fernstudium hatten bis 1989 4 300 Absolventen mit dem akademischen Grad "Diplomjurist" abgeschlossen. Das Hochschulstudium war jedoch keine umfassende juristische Ausbildung für eine Tätigkeit als Richter oder Rechtsanwalt.
Den Schwerpunkt des Studiums mit einem Anteil von fast 40 Prozent bildeten die operativen Fachgebiete, d. h. die Theorie und Praxis eines Nachrichtendienstes. Das Lehrgebiet Rechtswissenschaft hatte nur einen Anteil von 20 Prozent. Das Praktikum bestand im Wesentlichen aus der Arbeit mit IM einschließlich der Anfertigung von Treffberichten.
Im Einigungsvertrag von 1990 wurde daher bestimmt, dass ein an der JHS erworbener Abschluss nicht zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufes berechtigt. Dagegen können die an der JHS erworbenen oder verliehenen akademischen Berufsbezeichnungen, Grade und Titel weiterhin geführt werden. 310 hatten an der JHS den Grad eines "Dr. jur.", 31 den eines "Dr. sc. jur." und 68 beide Doktorgrade erworben. Die Mehrzahl der Promovenden war in leitenden Positionen im MfS oder als Lehrkräfte an der JHS tätig. 41 Prozent der Leiter der obersten Diensteinheiten (HA, zentrale Gruppen, BV) hatten an der JHS promoviert.
Der Titel "Dr. sc. jur." wurde nur zweimal verliehen, und zwar 1969 an den ehemaligen Residenten des KGB in den USA, Rudolf Iwanowitsch Abel, und 1985 an den "Kanzleramtsspion" Günter Guillaume.
Die 175 in den Beständen der BStU vollständig vorliegenden Dissertationen und andere Forschungsarbeiten sind stark ideologisch orientiert und vermitteln einen Einblick in die Denk- und Arbeitsweise des MfS. Die 3.700 Diplomarbeiten sind näher an der Praxis orientiert und befassen sich im größeren Umfang mit der Tätigkeit der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen.
Die JHS wurde im November 1989 in Hochschule des Amtes für Nationale Sicherheit umbenannt und hat im Januar 1990 ihre Tätigkeit eingestellt.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Signatur: BStU, MfS, JHS, Nr. 21625, Bl. 1-36
Am 7. Dezember 1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des Stasi-Nachfolgers Amt für Nationale Sicherheit (AfNS). Die Diplomarbeit eines Stasi-Offiziers aus dem Bezirk Schwerin gibt ein Beispiel von der Stimmung in den Regionen während des Kurswechsels der Stasi-Spitze und des Auflösungsprozesses.
Mit der Wahl einer neuen Regierung durch die Volkskammer der DDR am 17. November 1989 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Das Amt unterstand nun nicht mehr direkt der SED-Führung, sondern dem Ministerpräsidenten. Dem AfNS unterstellt waren die Bezirks- und Kreisämter, ehemals Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS.
Im Dezember 1989 kam es in der DDR zum Übergang von der Liberalisierung des Regimes zur Doppelherrschaft: Am Zentralen Runden Tisch (und vielen Runden Tischen in den Bezirken) verhandelten nun die Kräfte des alten Regimes mit Vertretern der Bürgerbewegung über die Auflösung der Parteidiktatur. Vor allem der politische Protest auf der Straße richtete sich mehr gegen das bereits abgetretene Regime als gegen das neue Kabinett unter Hans Modrow, aber die Abrechnung mit den früheren Machthabern destabilisierte auch die Übergangsregierung.
Wesentlichen Anteil hatte daran eine Institution, die plötzlich zu Leben erwacht war: die Volkskammer. In ihrer Sitzung am 1. Dezember wurde die "führende Rolle" der SED "mit übergroßer Mehrheit" (also auch mit den Stimmen der SED-Abgeordneten) aus der Verfassung gestrichen. Für die politische Atmosphäre im Lande aber war noch wichtiger, dass ein Untersuchungsausschuss zu Amtsmissbrauch und Korruption einen ersten Bericht erstattete. Es ging um persönliche Bereicherung der alten Spitzengenossen (Erich Honecker, Günter Mittag, Harry Tisch usw.) und ihrer Familien auf Kosten der Staatskasse. Das wurde zu einem gewaltigen Skandal.
Die Stimmung in den Regionen war noch schlechter als in der Ost-Berliner Zentrale des Amts für Nationale Sicherheit. Als Beispiel dient die Schilderung jener Wochen durch einen Stasi-Offizier aus Hagenow im Bezirk Schwerin. Der Autor, Major Klaus-Peter Künzer, war damals 37 Jahre alt und Referatsleiter in der Kreisdienststelle Hagenow. Seine Arbeit ist eine der letzten Diplomarbeiten, die im Januar 1990 an der (kurz danach aufgelösten) Juristischen Hochschule des Staatssicherheitsdienstes eingereicht wurden. Offenbar ist der Text ein Versuch, sich selbst die aktuelle Entwicklung verständlich zu machen. Er enthält eine lebendige Schilderung davon, wie der Kurswechsel der Ost-Berliner Stasi-Spitze an der Basis aufgenommen wurde.
Neben dieser ökonomischen Fehlleistung und den daraus resultierenden negativen Wirkungen im Stimmungs- und Meinungsbild dieses Betriebes führte dieser Zustand darüber hinaus zur Desorganisation der Arbeit der KDfS Hagenow. Durch die verworrenen Leitungswege und Entscheidungsbefugnisse war es nicht möglich, eine effektive Abwehrarbeit in diesem Kombinat zu organisieren. Alle Entscheidungen, auch wenn noch so unlogisch, waren durch irgend eine übergeordnete Institution sanktioniert bzw. mußten sanktioniert werden lassen. Das setzte sich bis zum Minister für Bauwesen fort, und diese Ebene sowie bereits mehrere vorgelagerte lagen außerhalb der Verantwortung der KD Hagenow.
Eine Zielstellung der Abwehrarbeit der KD Hagenow im Kombinat Fliesen und Sanitärkeramik bestand in der Nachweisführung real zu erwartender gegnerischer Angriffe und Aktivitäten, auf jeden Fall in bezug auf den Konkurrenzkampf mit ausländischen Firmen sowie daraus erwachsender ökonomischer Nachteile für die DDR. Die aufgezeigten Strukturen verhinderten jedoch die Erarbeitung von Fakten über Verantwortlichkeiten bei Mängeln bzw. Unzulänglichkeiten.
Im VEB Elbewerften Boizenburg/Roßlau konnte dagegen ein wirkungsvollerer Beitrag durch die Arbeit der KD Hagenow, vorrangig zur Stabilisierung von Leitungsprozessen bei der Gewährleistung einer höheren Sicherheit und Ordnung, erreicht werden. Bis zu diesem Zeitpunkt (1. Halbjahr 1989) richteten sich in diesem Betrieb die Hauptanstrengungen auf die Klärung der Ursachen eines umfangreichen Störgeschehens im Produktionsablauf. Es kam zu erheblichen materiellen Schäden, Materialverlusten und technologischen Fehlentscheidungen.
Die kontinuierliche Analyse dieser Probleme über einen Zeitraum von ca. 2 Jahren führte zu dem Ergebnis, daß keine feindlichen Aktivitäten und Handlungen vorlagen, sondern eindeutig Schlampereien im täglichen Arbeitsprozeß, beginnend in der Produktion bis hin zur Betriebsleitung. Mit der öffentlichen Auswertung durch die KD Hagenow im Rahmen von Sicherheitskonferenzen 1988 und im Juni 1989 konnte eine wesentliche Stabilisierung der Produktionsprozesse erreicht werden.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die seit 1951 bestehende Schule des MfS in Potsdam-Eiche wurde im Juli 1965 durch den DDR-Ministerrat in den Status einer Hochschule erhoben. Die JHS, MfS-intern teilweise auch nur als Hochschule des MfS bezeichnet, war zentrale Ausbildungs-, Studien- und Forschungseinrichtung. Der Studien- und Forschungsbereich bestand 1989 aus den Sektionen Marxismus/Leninismus, Politisch-operative Spezialdisziplin, Rechtswissenschaft, Sektion A (Schule der HV A in Gosen bei Berlin) und dem Institut für Internationale Beziehungen für die Ausbildung von "Kadern der Sicherheitsorgane befreundeter Staaten".
Der JHS war bis September 1989 die Juristische Fachschule mit dem Abschluss Fachschuljurist oder Staatswissenschaftler angeschlossen. Die Anzahl der Absolventen wird auf ca. 10 000 geschätzt.
Der Rektor der JHS (seit 1985 Willi Opitz) wurde vom Minister für Staatssicherheit ernannt. Die Anzahl der Studierenden im Hochschulstudium betrug 1 300 im Jahre 1988. Das vierjährige Direktstudium und das fünfeinhalbjährige Fernstudium hatten bis 1989 4 300 Absolventen mit dem akademischen Grad "Diplomjurist" abgeschlossen. Das Hochschulstudium war jedoch keine umfassende juristische Ausbildung für eine Tätigkeit als Richter oder Rechtsanwalt.
Den Schwerpunkt des Studiums mit einem Anteil von fast 40 Prozent bildeten die operativen Fachgebiete, d. h. die Theorie und Praxis eines Nachrichtendienstes. Das Lehrgebiet Rechtswissenschaft hatte nur einen Anteil von 20 Prozent. Das Praktikum bestand im Wesentlichen aus der Arbeit mit IM einschließlich der Anfertigung von Treffberichten.
Im Einigungsvertrag von 1990 wurde daher bestimmt, dass ein an der JHS erworbener Abschluss nicht zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufes berechtigt. Dagegen können die an der JHS erworbenen oder verliehenen akademischen Berufsbezeichnungen, Grade und Titel weiterhin geführt werden. 310 hatten an der JHS den Grad eines "Dr. jur.", 31 den eines "Dr. sc. jur." und 68 beide Doktorgrade erworben. Die Mehrzahl der Promovenden war in leitenden Positionen im MfS oder als Lehrkräfte an der JHS tätig. 41 Prozent der Leiter der obersten Diensteinheiten (HA, zentrale Gruppen, BV) hatten an der JHS promoviert.
Der Titel "Dr. sc. jur." wurde nur zweimal verliehen, und zwar 1969 an den ehemaligen Residenten des KGB in den USA, Rudolf Iwanowitsch Abel, und 1985 an den "Kanzleramtsspion" Günter Guillaume.
Die 175 in den Beständen der BStU vollständig vorliegenden Dissertationen und andere Forschungsarbeiten sind stark ideologisch orientiert und vermitteln einen Einblick in die Denk- und Arbeitsweise des MfS. Die 3.700 Diplomarbeiten sind näher an der Praxis orientiert und befassen sich im größeren Umfang mit der Tätigkeit der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen.
Die JHS wurde im November 1989 in Hochschule des Amtes für Nationale Sicherheit umbenannt und hat im Januar 1990 ihre Tätigkeit eingestellt.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Übersichtsbogen zur Operativen Personenkontrolle "Napoleon" Dokument, 2 Seiten
Einsatzplan zur Aktion "Bollwerk" für den ersten Jahrestag des 17. Juni 1953 Dokument, 8 Seiten
Operativinformation Nr. 73/88 der Kreisdienststelle Leipzig-Land zum 175. Jahrestag der Völkerschlacht Dokument, 2 Seiten
Bericht des IMS "Bodo" zum Abschluss der Jubiläumswoche zum 170. Jahrestag der Völkerschlacht Dokument, 1 Seite