Signatur: BArch, MfS, HA III, Nr. 7729, Bl. -152
Nach dem Oktoberfestattentat am 26. September 1980 ermittelte die Soko "Theresienwiese". Die DDR-Staatssicherheit schöpfte die Ermittlungsergebnisse ab und verfolgte – mit Blick auf die Bundestagswahl – die Reaktionen westdeutscher Politiker.
Am 26. September 1980 explodierte in der Nähe des Haupteingangs des Münchner Oktoberfests eine Bombe, die 13 Menschen tötete und 221 zum Teil schwer verletzte. Der 21-jährige Geologiestudent und Rechtsextremist Gundolf Köhler, der bei dem Anschlag starb, hatte den selbstgebauten Sprengkörper in einem metallenen Abfallkorb deponiert. Das Oktoberfestattentat war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskriminalamts (LKA) Bayern und des Bundeskriminalamts (BKA) bestehende Sonderkommission (Soko) "Theresienwiese" ermittelte in dem Fall. Als sich die Hinweise auf einen Terroranschlag verdichteten, leitete am 27. September 1980 auch Generalbundesanwalt (GBA) Kurt Rebmann ein Ermittlungsverfahren ein.
Die Sicherheitsbehörden identifizierten Köhler am Tag nach dem Anschlag als Attentäter. Seine Kontakte in die rechtsextreme Szene, v. a. zur paramilitärischen Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann, waren bereits nachrichtendienstlich erfasst. Köhler hatte u. a. an Wehrsportübungen der WSG teilgenommen und mit ihrem Leiter Karl-Heinz Hoffmann korrespondiert. Die Organisation war bereits im Januar 1980 durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) verboten worden.
Trotz dieser Informationen und Zeugenaussagen zu weiteren Personen am Tatort schlossen die Soko "Theresienwiese" und der GBA letztlich ein rechtsextremistisches Tatmotiv aus und hielten an der Einzeltätertheorie fest. Im Mai 1981 stellte die Soko ihre Ermittlungen ein, im November 1982 auch der GBA.
Der Anschlag fand in einer politisch aufgeheizten Zeit statt: Am 5. Oktober 1980 stand die Bundestagswahl an, bei der sich der amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) gegenüberstanden. In Schmidts Regierungszeit (ab 1974) fiel die Hochphase des Terrors der Roten Armee Fraktion. Daher prägte das Thema Sicherheit – vor allem mit Blick auf den Linksterrorismus – den Wahlkampf. Obwohl gerade die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ab Mitte der 1970er Jahre zugenommen hatte.
Schmidts konservative Herausforderer suchten die Schuldigen unmittelbar nach dem Anschlag im linksextremistischen Lager. Die Aktivitäten der WSG hingegen spielten sie herunter. Auch eine Tatbeteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) schlossen sie nicht aus.
Das MfS verfolgte die Ereignisse rund um das Oktoberfestattentat aufmerksam. Es schöpfte Ermittlungsergebnisse der westdeutschen Sicherheitsbehörden ab, dokumentierte die Berichterstattung in der Bundesrepublik und bewertete die Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl.
Zahlreiche – zum Teil zuvor aus der DDR geflohene oder freigekaufte – Rechtsextremisten hatte das MfS in seinem Speicher erfasst. Außerdem setzte es inoffizielle Mitarbeiter in der rechten Szene in der Bundesrepublik ein. Sein Ziel: neonazistische Organisationen im eigenen Land verhindern und Material sammeln, das die Bundesrepublik diskreditieren könnte.
Ende September / Anfang Oktober 1980 dokumentierte das MfS in mehreren Berichten, die es laufend ergänzte und aktualisierte, die Ermittlungsfortschritte der Soko "Theresienwiese". Das vorliegende Beispiel umfasst den Zeitraum zwischen dem 28. und 29. September 1980.
Der Bericht geht u. a. auf den Attentäter Köhler und seine Kontakte zur WSG ein. Außerdem schildert er die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen WSG-Mitglieder nach dem 26. September 1980.
Am Ende des Dokuments führt das MfS Meinungen westdeutscher Politiker hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl auf. Laut Stasi versuchten die Regierungsparteien SPD und FDP sowie die oppositionelle CDU/CSU, den "durch rechtsradikale Kräfte verübten Sprengstoffanschlag in München parteipolitisch auszunutzen". Diese Aussage bezog sich vor allem auf die Frage, wie die Parteien mit der Gefahr durch rechtsextreme Gruppierungen wie der WSG umgingen.
An mehreren Stellen des Berichts markierte das MfS mit Ziffern Personen, die es noch nicht oder bereits erfasst hatte. Dazu gehören unter anderem Rechtsextremisten, wie Karl-Heinz Hoffmann (erfasst für die Abteilung XXII (Terrorabwehr)), aber auch bundesdeutsche Politiker, wie der bayerische Innenminister Gerold Tandler (CSU) (erfasst für die Hauptverwaltung A (Auslandsspionage)).
Meinungen aus Kreisen der BRD-Regierung zum Terrorakt in München hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf die bevorstehende Bundestagswahl
Im Zusammenhang mit den Bestrebungen der im BRD-Bundestag vertretenen Parteien, den durch rechtsradikale Kräfte verübten Sprengstoffanschlag in München parteipolitisch auszunutzen, wurden zuverlässig folgende Hinweise bekannt:
Der Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung
(7)
Bölling, Klaus,
ist bemüht, durch wirksame Gegenmaßnahmen die vom Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Strauß, vorgetragenen Angriffe gegen die Bundesregierung zu entkräften.
Bölling bemühte sich, Bundeskanzler Schmidt dazu zu bewegen, der "Bild"-Zeitung ein Interview zu dieser Problematik zu geben. Damit sollte erreicht werden, gerade dem der CDU/CSU nahestehenden Leserkreis der "Bild"-Zeitung kurz vor den Bundestagswahlen die Positionen der Bundesregierung zu verdeutlichen und damit eine Gegenwirkung zu den Angriffen von Strauß zu erreichen. Nach Böllings Vorstellungen sollte Schmidt in diesem Interview besonders darauf hinweisen, daß die SPD in der Vergangenheit mehrfach vor den Gefahren, die von rechtsradikalen Gruppierungen ausgehen, gewarnt habe und durch die Zerschlagung der neofaschistischen Gruppe um den ehemaligen Rechtsanwalt
(8)
Röder, Manfred
geb.: 06.02.1926
gerade in der letzten Zeit ein großer Erfolg erzielt werden konnte. Andererseits habe der bayerische Innenminister,
(9)
Tandler, Gerold,
den Aktivitäten der neofaschistischen Wehrsportgruppe Hoffmann keinerlei politische Bedeutung beigemessen und trotz Intervention der SPD-Mitglieder im bayerischen Landtag nichts gegen diese unternommen.
Erfassungsverhältnisse
(1)erfaßt für die Abt. 22
(2)nicht erfaßt
(3)nicht erfaßt
(4)nicht erfaßt
(5)erfaßt für die Abt. 22, Mitarbeiter Simon nicht erfaßt
(6)nicht erfaßt
(7)erfaßt für HV A
(8)erfaßt für HA PS/AIG in KK
(9)erfaßt für HA A
Abteilung XXII (Terrorabwehr)
1975 entstanden aus einer Unterstruktur der AG beim 1. Stellv. des Ministers; 1989 mit der Abt. XXIII zur HA XXII zusammengeführt.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
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Signatur: BArch, MfS, HA III, Nr. 7729, Bl. -152
Nach dem Oktoberfestattentat am 26. September 1980 ermittelte die Soko "Theresienwiese". Die DDR-Staatssicherheit schöpfte die Ermittlungsergebnisse ab und verfolgte – mit Blick auf die Bundestagswahl – die Reaktionen westdeutscher Politiker.
Am 26. September 1980 explodierte in der Nähe des Haupteingangs des Münchner Oktoberfests eine Bombe, die 13 Menschen tötete und 221 zum Teil schwer verletzte. Der 21-jährige Geologiestudent und Rechtsextremist Gundolf Köhler, der bei dem Anschlag starb, hatte den selbstgebauten Sprengkörper in einem metallenen Abfallkorb deponiert. Das Oktoberfestattentat war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskriminalamts (LKA) Bayern und des Bundeskriminalamts (BKA) bestehende Sonderkommission (Soko) "Theresienwiese" ermittelte in dem Fall. Als sich die Hinweise auf einen Terroranschlag verdichteten, leitete am 27. September 1980 auch Generalbundesanwalt (GBA) Kurt Rebmann ein Ermittlungsverfahren ein.
Die Sicherheitsbehörden identifizierten Köhler am Tag nach dem Anschlag als Attentäter. Seine Kontakte in die rechtsextreme Szene, v. a. zur paramilitärischen Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann, waren bereits nachrichtendienstlich erfasst. Köhler hatte u. a. an Wehrsportübungen der WSG teilgenommen und mit ihrem Leiter Karl-Heinz Hoffmann korrespondiert. Die Organisation war bereits im Januar 1980 durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) verboten worden.
Trotz dieser Informationen und Zeugenaussagen zu weiteren Personen am Tatort schlossen die Soko "Theresienwiese" und der GBA letztlich ein rechtsextremistisches Tatmotiv aus und hielten an der Einzeltätertheorie fest. Im Mai 1981 stellte die Soko ihre Ermittlungen ein, im November 1982 auch der GBA.
Der Anschlag fand in einer politisch aufgeheizten Zeit statt: Am 5. Oktober 1980 stand die Bundestagswahl an, bei der sich der amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) gegenüberstanden. In Schmidts Regierungszeit (ab 1974) fiel die Hochphase des Terrors der Roten Armee Fraktion. Daher prägte das Thema Sicherheit – vor allem mit Blick auf den Linksterrorismus – den Wahlkampf. Obwohl gerade die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ab Mitte der 1970er Jahre zugenommen hatte.
Schmidts konservative Herausforderer suchten die Schuldigen unmittelbar nach dem Anschlag im linksextremistischen Lager. Die Aktivitäten der WSG hingegen spielten sie herunter. Auch eine Tatbeteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) schlossen sie nicht aus.
Das MfS verfolgte die Ereignisse rund um das Oktoberfestattentat aufmerksam. Es schöpfte Ermittlungsergebnisse der westdeutschen Sicherheitsbehörden ab, dokumentierte die Berichterstattung in der Bundesrepublik und bewertete die Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl.
Zahlreiche – zum Teil zuvor aus der DDR geflohene oder freigekaufte – Rechtsextremisten hatte das MfS in seinem Speicher erfasst. Außerdem setzte es inoffizielle Mitarbeiter in der rechten Szene in der Bundesrepublik ein. Sein Ziel: neonazistische Organisationen im eigenen Land verhindern und Material sammeln, das die Bundesrepublik diskreditieren könnte.
Ende September / Anfang Oktober 1980 dokumentierte das MfS in mehreren Berichten, die es laufend ergänzte und aktualisierte, die Ermittlungsfortschritte der Soko "Theresienwiese". Das vorliegende Beispiel umfasst den Zeitraum zwischen dem 28. und 29. September 1980.
Der Bericht geht u. a. auf den Attentäter Köhler und seine Kontakte zur WSG ein. Außerdem schildert er die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen WSG-Mitglieder nach dem 26. September 1980.
Am Ende des Dokuments führt das MfS Meinungen westdeutscher Politiker hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl auf. Laut Stasi versuchten die Regierungsparteien SPD und FDP sowie die oppositionelle CDU/CSU, den "durch rechtsradikale Kräfte verübten Sprengstoffanschlag in München parteipolitisch auszunutzen". Diese Aussage bezog sich vor allem auf die Frage, wie die Parteien mit der Gefahr durch rechtsextreme Gruppierungen wie der WSG umgingen.
An mehreren Stellen des Berichts markierte das MfS mit Ziffern Personen, die es noch nicht oder bereits erfasst hatte. Dazu gehören unter anderem Rechtsextremisten, wie Karl-Heinz Hoffmann (erfasst für die Abteilung XXII (Terrorabwehr)), aber auch bundesdeutsche Politiker, wie der bayerische Innenminister Gerold Tandler (CSU) (erfasst für die Hauptverwaltung A (Auslandsspionage)).
- der Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe
- dem Amt für Sicherheit der Bundeswehr Köln, Abteilung III
- der Grenzschutzdirektion Koblenz
- dem Bundesgrenzschutz Sankt Augustin, Grenzschutzgruppe 9.
Der als "Verschlußsache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestufte Bericht hat folgenden Wortlaut:
1. Sachverhalt und vorläufiges Ermittlungsergebnis
1.1. Tatverdacht gegen Köhler, Gundolf:
Am 26.09.1980, gegen 22:20 Uhr, ereignete sich am Haupteingang zur Festwiese (Theresienwiese) in München, Ecke Bavariaring/Wirtsbudenstraße eine Sprengstoffexplosion mit Toten und Verletzten, deren Zahl nach dem Stand vom 28.09.1980, 07:00 Uhr 12 Tote und 185 Verletzte beträgt.
Die am 26.09.1980 um 23:15 Uhr begonnene und am 27.09.1980 um 08:40 Uhr abgeschlossene Tatortbefundaufnahme, unmittelbar anschließende kriminaltechnische Untersuchungen, Ermittlungs- und sonstige Erhebungen, insbesondere das Auffinden von Ausweispapieren (Personalausweis) in der Nähe der Leiche Köhler begründeten noch am 27.09.1980 am Tatort, gegen 03:30 Uhr, den Verdacht, daß Köhler bei der Explosion unmittelbar am Explosionsort gewesen sein muß.
Die Verletzungen des Köhler (Brustkorb völlig geöffnet, beide Arme auf Höhe des Ellenbogens abgetrennt und abgeschlagenes linkes Bein) verstärkten diese Erkenntnisse und führten zu der Annahme, daß Köhler zum Zeitpunkt der Detonation am Detonationsort (Papierkorb) hantiert hat (mutmaßlich Ablegen des Sprengkörpers).
Diese kriminalistische Annahme wurde durch die am 27.09.1980 ab 10:00 Uhr durchgeführte Obduktion der Leiche des Köhler insofern bestätigt als dabei starke Verschmauchungen im Brustbereich festzustellen waren und sich im Ober- und Unterkörper zahlreiche Splitter der Sprengkörperummantelung befanden. Nach Ansicht des Obduzenten, Prof. [anonymisiert], (Rechtsmedizin München) lassen die Verletzungen des Köhler darauf schließen, daß er zum Zeitpunkt der Detonation mit dem Oberkörper über den Papierkorb gebeugt war und sich offensichtlich mit beiden Händen in Höhe dieses Behältnisses befand.
Die durchgeführte Blutalkoholuntersuchung ergab, daß Köhler zum Zeitpunkt seines Todes nicht unter Alkoholeinwirkung stand.
Die kriminalistische Untersuchung durch Sachverständige (Chemiker, Physiker und Schußwaffenerkennungsdienst) zur Identifizierung des Tatmittels ergab bisher, daß es sich bei dem Sprengkörper vermutlich um einen Hohlkörper, ähnlich der Hülle eines großkalibrigen Geschosses handelt.
Abteilung XXII (Terrorabwehr)
1975 entstanden aus einer Unterstruktur der AG beim 1. Stellv. des Ministers; 1989 mit der Abt. XXIII zur HA XXII zusammengeführt.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
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Signatur: BArch, MfS, HA III, Nr. 7729, Bl. -152
Nach dem Oktoberfestattentat am 26. September 1980 ermittelte die Soko "Theresienwiese". Die DDR-Staatssicherheit schöpfte die Ermittlungsergebnisse ab und verfolgte – mit Blick auf die Bundestagswahl – die Reaktionen westdeutscher Politiker.
Am 26. September 1980 explodierte in der Nähe des Haupteingangs des Münchner Oktoberfests eine Bombe, die 13 Menschen tötete und 221 zum Teil schwer verletzte. Der 21-jährige Geologiestudent und Rechtsextremist Gundolf Köhler, der bei dem Anschlag starb, hatte den selbstgebauten Sprengkörper in einem metallenen Abfallkorb deponiert. Das Oktoberfestattentat war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskriminalamts (LKA) Bayern und des Bundeskriminalamts (BKA) bestehende Sonderkommission (Soko) "Theresienwiese" ermittelte in dem Fall. Als sich die Hinweise auf einen Terroranschlag verdichteten, leitete am 27. September 1980 auch Generalbundesanwalt (GBA) Kurt Rebmann ein Ermittlungsverfahren ein.
Die Sicherheitsbehörden identifizierten Köhler am Tag nach dem Anschlag als Attentäter. Seine Kontakte in die rechtsextreme Szene, v. a. zur paramilitärischen Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann, waren bereits nachrichtendienstlich erfasst. Köhler hatte u. a. an Wehrsportübungen der WSG teilgenommen und mit ihrem Leiter Karl-Heinz Hoffmann korrespondiert. Die Organisation war bereits im Januar 1980 durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) verboten worden.
Trotz dieser Informationen und Zeugenaussagen zu weiteren Personen am Tatort schlossen die Soko "Theresienwiese" und der GBA letztlich ein rechtsextremistisches Tatmotiv aus und hielten an der Einzeltätertheorie fest. Im Mai 1981 stellte die Soko ihre Ermittlungen ein, im November 1982 auch der GBA.
Der Anschlag fand in einer politisch aufgeheizten Zeit statt: Am 5. Oktober 1980 stand die Bundestagswahl an, bei der sich der amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) gegenüberstanden. In Schmidts Regierungszeit (ab 1974) fiel die Hochphase des Terrors der Roten Armee Fraktion. Daher prägte das Thema Sicherheit – vor allem mit Blick auf den Linksterrorismus – den Wahlkampf. Obwohl gerade die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ab Mitte der 1970er Jahre zugenommen hatte.
Schmidts konservative Herausforderer suchten die Schuldigen unmittelbar nach dem Anschlag im linksextremistischen Lager. Die Aktivitäten der WSG hingegen spielten sie herunter. Auch eine Tatbeteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) schlossen sie nicht aus.
Das MfS verfolgte die Ereignisse rund um das Oktoberfestattentat aufmerksam. Es schöpfte Ermittlungsergebnisse der westdeutschen Sicherheitsbehörden ab, dokumentierte die Berichterstattung in der Bundesrepublik und bewertete die Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl.
Zahlreiche – zum Teil zuvor aus der DDR geflohene oder freigekaufte – Rechtsextremisten hatte das MfS in seinem Speicher erfasst. Außerdem setzte es inoffizielle Mitarbeiter in der rechten Szene in der Bundesrepublik ein. Sein Ziel: neonazistische Organisationen im eigenen Land verhindern und Material sammeln, das die Bundesrepublik diskreditieren könnte.
Ende September / Anfang Oktober 1980 dokumentierte das MfS in mehreren Berichten, die es laufend ergänzte und aktualisierte, die Ermittlungsfortschritte der Soko "Theresienwiese". Das vorliegende Beispiel umfasst den Zeitraum zwischen dem 28. und 29. September 1980.
Der Bericht geht u. a. auf den Attentäter Köhler und seine Kontakte zur WSG ein. Außerdem schildert er die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen WSG-Mitglieder nach dem 26. September 1980.
Am Ende des Dokuments führt das MfS Meinungen westdeutscher Politiker hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Anschlags auf die Bundestagswahl auf. Laut Stasi versuchten die Regierungsparteien SPD und FDP sowie die oppositionelle CDU/CSU, den "durch rechtsradikale Kräfte verübten Sprengstoffanschlag in München parteipolitisch auszunutzen". Diese Aussage bezog sich vor allem auf die Frage, wie die Parteien mit der Gefahr durch rechtsextreme Gruppierungen wie der WSG umgingen.
An mehreren Stellen des Berichts markierte das MfS mit Ziffern Personen, die es noch nicht oder bereits erfasst hatte. Dazu gehören unter anderem Rechtsextremisten, wie Karl-Heinz Hoffmann (erfasst für die Abteilung XXII (Terrorabwehr)), aber auch bundesdeutsche Politiker, wie der bayerische Innenminister Gerold Tandler (CSU) (erfasst für die Hauptverwaltung A (Auslandsspionage)).
Aufgrund der gesicherten Splitter (Stärke 1,5 cm, Stahlguß) ergab sich bereits am Tatort ein entsprechender Verdacht.
Zur Identitätsfeststellung des Köhler wurden folgende Maßnahmen eingeleitet:
- Anerkennung durch Zeugen, insbesondere Angehörige:
Der herbeigeholte Bruder konnte aufgrund der starken Verletzungen der Leiche eine eindeutige Anerkennung nicht vornehmen. Die weitere Beibringung anderer Anerkennungszeugen ist eingeleitet.
- Schließprobe am PKW und in der Wohnung Donaueschingen mit bei der Leiche gefundenen Schlüsseln:
Die bei Köhler aufgefundenen Schlüssel paßten sowohl beim zwischenzeitlich in der Nähe des Tatortes sichergestellten Kfz als auch zur Wohnung in Donaueschingen, [anonymisiert].
- Identifizierung anhand des Zahnschemas:
Ergebnis steht noch aus.
Durch das Bayerische Staatsministerium des Innern (BSTMI) München wurde am Vormittag des 27.09.1980 bekannt, daß Köhler aktives Mitglied der WSG Hoffmann und Kontaktperson zu Hoffmann seit 1976 war. Die Durchsuchung der Wohnung des Köhler in Donaueschingen, [anonymisiert] - zu den Durchsuchungsaktionen s. unten - führten zur Auffindung zahlreicher Flaschen, u. a. Behältnissen mit chemikalischen Substanzen. Auch umfangreiche Literatur zur Sprengstoffherstellung konnte sichergestellt werden, ferner wurde von Beamten der SOKO des BLKA erhoben, daß Köhler seinen Wehrdienst als Panzergrenadier abgeleistet haben soll.
1.2. Tatverdacht und Maßnahmen in Richtung der Angehörigen der WSG Hoffmann
Die festgestellte Verbindung des mutmaßlichen Täters zum Kreis WSG Hoffmann führte zu dem Verdacht, daß es sich bei dem Anschlag um eine Aktion der WSG Hoffmann handelt. In Absprache mit dem BSTMI und auf Anordnung der bis zum 27.09.1980, 14:10 Uhr federführenden Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I - nach Übernahme der Ermittlungen durch den GBA um 14:10 Uhr erneuert - wurden schlagartige Aktionen gegen bekannte Mitglieder und Objekte der WSG Hoffmann vorbereitet. Der Beginn der Aktion wurde vom GBA bundeseinheitlich auf 18:00 Uhr festgesetzt.
Kurz vorher war bereits am Grenzübergang (GÜEG) Bundesstraße Schwarbach ein Konvoi von drei Fahrzeugen, geführt von 3 der WSG zuzurechnenden Personen und einer weiteren Person angehalten worden.
Abteilung XXII (Terrorabwehr)
1975 entstanden aus einer Unterstruktur der AG beim 1. Stellv. des Ministers; 1989 mit der Abt. XXIII zur HA XXII zusammengeführt.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
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Bericht über Ermittlungen des Verfassungsschutzes im Vorfeld des Oktoberfestattentats 1980 Dokument, 4 Seiten
Einschätzungen zu Auswirkungen des Oktoberfestattentats auf die Bundestagswahl 1980 Dokument, 2 Seiten
Erfassung des westdeutschen Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann Dokument, 1 Seite
Fahndungsergebnisse und Sicherheitsvorkehrungen in der Bundesrepublik in Bezug auf die RAF Dokument, 9 Seiten