Signatur: BStU, MfS, BV Halle, AU, Nr. 287/53, Bl. 65
Am 17. Juni 1953 stürmten Demonstranten die SED-Bezirksleitung Halle. Die Funktionäre schlossen sich aus Angst in ihren Büros ein. Ein Trupp der Kasernierten Volkspolizei sollte das Gebäude wieder unter Kontrolle bringen – und scheiterte daran.
Am 17. Juni 1953 schlug der Unmut vieler Menschen in der DDR über die diktatorische Herrschaft der SED und die schlechten Lebensbedingungen in offenen Widerstand um. Aus Streiks, zunächst in Berlin und dann in anderen großen Städten, wurde ein Flächenbrand, der bald die Züge eines Volksaufstandes annahm. Zu den wirtschaftlichen Forderungen der Streikenden kamen schnell politische Ziele hinzu. Schließlich forderten die Aufständischen die Abschaffung der SED-Herrschaft und sofortige freie Wahlen zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Vielerorts beließen es die Menschen nicht bei Streiks und Demonstrationen. Orte staatlicher Herrschaft wurden belagert oder sogar besetzt. Gebäude der SED, der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und auch des MfS kamen so in die Hand der Aufständischen.
In Halle kam es zu solchen Besetzungen. So versammelten sich vor der SED-Bezirksleitung am Marx-Engels-Platz, dem heutigen Steintor, etwa 1.000 Menschen. Mehr als 300 Demonstranten stürmten das "Haus der Einheit". Die zum Schutz abkommandierten Volkspolizisten wurden entwaffnet und verjagt. Die SED-Funktionäre schlossen sich ängstlich in ihren Zimmern ein. Ein Befreiungsversuch durch weitere Einheiten der Volkspolizei scheiterte. Zum einen war die Menschenmenge viel größer, als den hinzu kommenden Volkspolizisten gemeldet worden war. Zum anderen trafen die zwei LKW mit den zusätzlichen Polizisten mit fünf Minuten Abstand zueinander ein. So konnten die Demonstranten die Trupps nacheinander einkreisen und aus ihren Fahrzeugen zerren. Dabei erbeuteten die Demonstranten Schulterstücke und Trillerpfeifen der Polizisten, aber auch Dienstpistolen. Zum großen Teil warfen die Demonstranten die Waffen aber kurz darauf weg.
Das vorliegende Dokument ist eine Skizze des Einsatzes von einem der beiden kommandierenden Volkspolizisten. Es zeigt die Situation am "Haus der Einheit", Anmarschweg und Einsatzplan der Trupps und die Gründe für das Scheitern des Einsatzes. Es stammt aus dem Untersuchungsvorgang gegen einen jungen Studenten, dem später eine Beteiligung an der gewaltsamen Auseinandersetzung mit der Volkspolizei vorgeworfen wurde.
Angefertigt:
Walter Günther
VP Oberrat
Skizze des Einsatzes am 17.VI.53
Auftrag: "Versuchen Sie unbedingt in die Bezirksleitung hineinzukommen!"
Ausführung wurde nicht erreicht. Einsatzgruppenstärke 1/20 unbewaffnet. Gummiknüppel wurden nicht ausgegeben.
[Es folgt eine Planskizze der SED-Bezirksleitung und der unmittelbaren Umgebung. Eingezeichnet sind das Kasernengelände der Kasernierten Volkspolizei, ein Eisenbahngelände und ein Friedhof. Rund um die Bezirksleitung im "Haus der Einheit" hat der Urheber der Skizze die Menge der Demonstranten farbig gekennzeichnet. Mit Symbolen sind außerdem folgende Punkte in einer Legende hervorgehoben:]
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.