Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 10391, Bl. 168-169
Nach dem gescheiterten Fluchtversuch von Christel und Eckhard Wehage mit einem entführten Passagierflugzeug nahm sich das Paar das Leben. Die Staatssicherheit untersuchte daraufhin den Vorfall. Schon bald berichteten westliche Medien über das Ereignis. Um die wahren Begebenheiten zu verschleiern, konstruierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) eine "operative Legende". In einem Gespräch mit den Eltern der Toten übte es Druck auf sie aus, um die Legende aufrechtzuerhalten.
Die junge Physiotherapeutin Christel Zinke aus Wolmirstedt und der in Berßel geborene Eckhard Wehage lernten sich Ende der 60er Jahre kennen und heirateten bald darauf. Da Wehage als Angehöriger der DDR-Volksmarine an seinen Einsatzort in Peenemünde gebunden war, wollte seine Frau zu ihm an die Ostsee ziehen. Doch die staatlich gelenkte Wohnungspolitik in der DDR versagte ihnen auch nach mehreren Anläufen eine gemeinsame Wohnung. Christel Wehage begründete dies später in ihrem Abschiedsbrief mit ihrer Kinderlosigkeit. Die fehlende Freiheit in der Arbeitsplatz- und Wohnortwahl führte schließlich zu dem Entschluss des Paares, in den Westen zu fliehen.
Am 9. März 1970 startete Eckhard Wehage dann gemeinsam mit seiner Frau seinen dritten Fluchtversuch. Der Plan war dramatisch: Sie wollten ein Passagierflugzeug in den Westen entführen. Am Tag zuvor war es Wehage gelungen, zwei Pistolen aus der Waffenkammer seiner Einheit zu entwenden. Doch der Flug von Berlin-Schönefeld nach Dresden wurde kurzfristig abgesagt. So nahm das Paar am Tag darauf, dem 10. März 1970, einen Flug nach Leipzig. Aufgrund der im Jahr 1970 noch vergleichsweise lockeren Sicherheitskontrollen bei Inlandsflügen konnten Eckhard und Christel Wehage die handlichen Makarow-Pistolen ohne Probleme in das Flugzeug schmuggeln. Als sich die Maschine in der Luft befand, forderten sie das Bordpersonal mit gezückten Waffen auf, Hannover anzusteuern. Doch eine Stewardess warnte den Piloten mithilfe eines geheimen Notfallcodes und verwickelte die Entführerin und den Entführer in ein Gespräch, sodass das Flugzeug unbemerkt wieder Ost-Berlin ansteuern konnte. Als die Interflug-Maschine in Schönefeld gelandet war und sich das junge Paar seiner aussichtslosen Situation bewusst wurde, richtete es die Waffen gegen sich selbst.
Nach dem Vorfall übernahm das MfS umgehend die Ermittlungen. Dafür arbeitete die Hauptabteilung (HA) IX (Untersuchungsorgan) eng mit anderen MfS-Diensteinheiten, wie der HA I (NVA und Grenztruppen) und der HA XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen), zusammen, denn die Themen dieser Diensteinheiten trafen in der Flugzeugentführung aufeinander. Auf Bezirksebene wurden die Bezirksverwaltung Magdeburg und die Kreisdienststellen Wolmirstedt und Halberstadt einbezogen. Außerdem koordinierte die Stasi ihr Vorgehen mit der Volksmarine und den Strafverfolgungsbehörden. Die Federführung bei diesen verschiedenen Untersuchungen übernahm die HA IX.
Kurz nach der gescheiterten Flugzeugentführung und dem Selbstmord von Christel und Eckhard Wehage berichteten westliche Medien über den Vorfall, ohne die Personen zu benennen. Im "Neuen Deutschland" erschien am 11. März ein Artikel zu dem Ereignis. Auch darin fanden die Namen der Entführerin und des Entführers keine Erwähnung, ebenso wie das Motiv der "Republikflucht". Um zu verhindern, dass der Tod der Wehages in der Öffentlichkeit mit dem Fluchtversuch in Verbindung gebracht wurde, erfand die Stasi eine "operative Legende". Sie bezog die Eltern des jungen Paares in die Aufrechterhaltung der Legende ein. Doch letztlich konnte das MfS trotz seiner Bemühungen nicht verhindern, dass sich in der Öffentlichkeit Gerüchte über die wahren Hintergründe von Eckhard und Christel Wehages Tod verbreiteten.
Die Ehepaare Zinke und Wehage wurden zunehmend mit diesen "Gerüchten" konfrontiert und hatten Schwierigkeiten, die Legende aufrechtzuerhalten. Daher kam es Ende März 1970 zu einer Aussprache zwischen ihnen, dem Militärstaatsanwalt und einem MfS-Major. Wie ein Bericht über dieses Treffen zeigt, übte die Stasi Druck auf die Eltern der Toten aus. Wohl nicht ganz freiwillig "einigten" sich die Anwesenden, den Vorfall weiterhin zu verschleiern. In der geplanten Traueranzeige für Christel und Eckhard Wehage sollte als Todesursache "tragischer Verkehrsunfall" angegeben werden, Todestag und Ort der Bestattung aber sollten geheim bleiben. Abschließend hielt der Verfasser des Berichts euphemistisch fest, dass die Ehepaare Zinke und Wehage sich "für die sachliche und höfliche Aussprache und Hilfeleistung durch den Militärstaatsanwalt und das Untersuchungsorgan" bedankten.
Wolmirstedt, den 25.03.1970
4 Expl.
Bericht
Auf Wunsch des Herrn Zinke fand am 25.03.1970 von 11:00 - 14:00 Uhr in dessen Wohnung eine Aussprache statt.
Daran nahmen die Ehepaare Zinke und Wehage sowie Genosse Militärstaatsanwalt Bock und Major Wolf als Vertreter des Untersuchungsorgans teil.
Die genannten, insbesondere das Ehepaar Zinke, ersuchten auf Grund von Gerüchten in der Bevölkerung und direkt an sie gerichteter Anfragen von Bekannten auf Zusammenhänge mit der AN 24-Maschine um Verhaltensratschläge.
Frau Zinke war geneigt, die wahren Zusammenhänge zu offenbaren, da sie sich nervlich der weiteren Aufrechterhaltung der Legende nicht gewachsen fühle.
Übereinstimmend wurde von den Anwesenden im Interesse des öffentlichen Leumundes abgestimmt, bei der Verkehrsunfalllegende zu verbleiben.
Beide Ehepaare werden dazu bei eventuellen neugierigen Anfragen gebeten, daß der Unfall infolge überhöhter Geschwindigkeit bei Glatteis ohne Zeugen erfolgte und daß auf Grund der Armeezugehörigkeit des [Auslassung] und dessen Umgang mit VS-Dokumenten Untersuchungen durch Staatssicherheitsorgane erfolgten. Der Unfall selbst sei von der VK aufgenommen worden.
Entsprechend vorheriger Äußerungen der Familie Zinke, daß die Trauerfeierlichkeiten in Wolgast stattfinden, wollen diese am 26.03.1970 zur Abdeckung eine Reise nach Berlin unternehmen. Frau Wehage brachte zum Ausdruck, daß sie in [anonymisiert] energisch Gerüchten entgegengetreten sei, wonach in den Verkehrsunfall ein Oberst der NVA verwickelt gewesen sein. Seitdem gibt es in [anonymisiert] keine Schwätzereien mehr.
Zu den aufgetretenen Gerüchten in Wolmirstedt wurde ihnen erklärt, daß im Rahmen der Untersuchungen keine unbefugten Personen Auskünfte über die Täter erlangen konnten und die
Hauptabteilung I (NVA und Grenztruppen)
Die Hauptabteilung I war zuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten Führungsorgane, Truppen und Einrichtungen einschließlich der Grenztruppen der DDR. Armeeintern trug die Hauptabteilung I die Bezeichnung "Verwaltung 2000". Ihre Mitarbeiter wurden als Verbindungsoffiziere bezeichnet. Der Armeeführung war die Hauptabteilung I jedoch weder unterstellt noch rechenschaftspflichtig.
Die Hauptabteilung I ging im Dezember 1951 aus den Abteilungen VII a, VII b und VII c hervor. Seit 1956 (Gründung der Nationalen Volksarmee) trugen ihre Struktureinheiten die taktische Bezeichnung des Truppenteils bzw. der Einheit, für deren abwehrmäßige Sicherung sie zuständig waren. Der Mauerbau 1961 und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 sorgten für Zäsuren in der Arbeit der Hauptabteilung I.
Von 1956 bis 1961 war die Hauptabteilung I außerdem für die Überwachung der Bereitschaftspolizei zuständig und von 1958 bis 1986 für das Wachregiment des MfS. Die Arbeit der Hauptabteilung I umfasste folgende Aufgaben:
Der Leiter der Hauptabteilung I unterstand einem Ministerstellvertreter, zuletzt Gerhard Neiber. Leiter der Hauptabteilung I waren 1950-1953 Heinz Gronau, 1953-1955 Ottomar Pech, 1955-1981 Karl Kleinjung und ab 1981 Manfred Dietze. Der Verantwortungsbereich der Hauptabteilung I umfasste 1986 knapp 300.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte. Hierfür waren ihr 1989 2.223 Planstellen zugeteilt, darunter jede 2. Stelle für IM-führende Mitarbeiter. Die Hauptabteilung I verfügte über 13 Planstellen für Offiziere im besonderen Einsatz (OibE). 1987 führte die Hauptabteilung I 22.585 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Zu den Informanten zählten nicht nur Militärangehörige oder Zivilbeschäftigte. Die Zahl der IM, die die Hauptabteilung I im Westen führte, lag unter 150. Die Bearbeitung von Operativen Vorgängen (OV) und Operativen Personenkontrollen (OPK) war vergleichsweise gering. Sie betrug 1988 59 OV und 312 OPK.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Die Hauptabteilung XIX entstand 1964 durch Umbenennung der Hauptabteilung XIII. Ihre Aufgaben waren die Sicherung des Ministeriums für Verkehrswesen und dessen zentraler Einrichtungen sowie der Verkehrsträger Reichsbahn, Schifffahrt, Kraftverkehr und Luftfahrt als auch der Transportpolizei und deren Arbeitsgebiet K I.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Der Begriff Untersuchungsorgan (russ.: sledstwennyj organ) ist sowjetischen Ursprungs und verdrängte in der DDR in den frühen 50er Jahren allmählich den traditionellen deutschen Begriff Ermittlungsbehörde. Untersuchungsorgane hatten laut Strafprozessordnung (StPO) der DDR die Befugnisse polizeilicher Ermittlungsbehörden und unterstanden bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens de jure der Aufsicht des Staatsanwaltes (§§ 95-98 StPO/1952, §§ 87-89 StPO/1968).
Während anfangs das MfS insgesamt als Untersuchungsorgan galt, wurden später zumeist nur noch jene Bereiche, die strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführten, also die HA IX in der Berliner MfS-Zentrale und die fachlich nachgeordneten Abt. IX der BV, als Untersuchungsorgan bezeichnet. Neben den Untersuchungsorganen des MfS gab es in der DDR die Untersuchungsorgane des MdI (Kriminalpolizei) und der Zollverwaltung bzw. ihres Vorläufers Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (Zollfahndungsdienst). Bis 1953 übten auch die Kommissionen für staatliche Kontrolle in Wirtschaftsstrafverfahren die Funktionen von Untersuchungsorganen aus.
Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 10391, Bl. 168-169
Nach dem gescheiterten Fluchtversuch von Christel und Eckhard Wehage mit einem entführten Passagierflugzeug nahm sich das Paar das Leben. Die Staatssicherheit untersuchte daraufhin den Vorfall. Schon bald berichteten westliche Medien über das Ereignis. Um die wahren Begebenheiten zu verschleiern, konstruierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) eine "operative Legende". In einem Gespräch mit den Eltern der Toten übte es Druck auf sie aus, um die Legende aufrechtzuerhalten.
Die junge Physiotherapeutin Christel Zinke aus Wolmirstedt und der in Berßel geborene Eckhard Wehage lernten sich Ende der 60er Jahre kennen und heirateten bald darauf. Da Wehage als Angehöriger der DDR-Volksmarine an seinen Einsatzort in Peenemünde gebunden war, wollte seine Frau zu ihm an die Ostsee ziehen. Doch die staatlich gelenkte Wohnungspolitik in der DDR versagte ihnen auch nach mehreren Anläufen eine gemeinsame Wohnung. Christel Wehage begründete dies später in ihrem Abschiedsbrief mit ihrer Kinderlosigkeit. Die fehlende Freiheit in der Arbeitsplatz- und Wohnortwahl führte schließlich zu dem Entschluss des Paares, in den Westen zu fliehen.
Am 9. März 1970 startete Eckhard Wehage dann gemeinsam mit seiner Frau seinen dritten Fluchtversuch. Der Plan war dramatisch: Sie wollten ein Passagierflugzeug in den Westen entführen. Am Tag zuvor war es Wehage gelungen, zwei Pistolen aus der Waffenkammer seiner Einheit zu entwenden. Doch der Flug von Berlin-Schönefeld nach Dresden wurde kurzfristig abgesagt. So nahm das Paar am Tag darauf, dem 10. März 1970, einen Flug nach Leipzig. Aufgrund der im Jahr 1970 noch vergleichsweise lockeren Sicherheitskontrollen bei Inlandsflügen konnten Eckhard und Christel Wehage die handlichen Makarow-Pistolen ohne Probleme in das Flugzeug schmuggeln. Als sich die Maschine in der Luft befand, forderten sie das Bordpersonal mit gezückten Waffen auf, Hannover anzusteuern. Doch eine Stewardess warnte den Piloten mithilfe eines geheimen Notfallcodes und verwickelte die Entführerin und den Entführer in ein Gespräch, sodass das Flugzeug unbemerkt wieder Ost-Berlin ansteuern konnte. Als die Interflug-Maschine in Schönefeld gelandet war und sich das junge Paar seiner aussichtslosen Situation bewusst wurde, richtete es die Waffen gegen sich selbst.
Nach dem Vorfall übernahm das MfS umgehend die Ermittlungen. Dafür arbeitete die Hauptabteilung (HA) IX (Untersuchungsorgan) eng mit anderen MfS-Diensteinheiten, wie der HA I (NVA und Grenztruppen) und der HA XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen), zusammen, denn die Themen dieser Diensteinheiten trafen in der Flugzeugentführung aufeinander. Auf Bezirksebene wurden die Bezirksverwaltung Magdeburg und die Kreisdienststellen Wolmirstedt und Halberstadt einbezogen. Außerdem koordinierte die Stasi ihr Vorgehen mit der Volksmarine und den Strafverfolgungsbehörden. Die Federführung bei diesen verschiedenen Untersuchungen übernahm die HA IX.
Kurz nach der gescheiterten Flugzeugentführung und dem Selbstmord von Christel und Eckhard Wehage berichteten westliche Medien über den Vorfall, ohne die Personen zu benennen. Im "Neuen Deutschland" erschien am 11. März ein Artikel zu dem Ereignis. Auch darin fanden die Namen der Entführerin und des Entführers keine Erwähnung, ebenso wie das Motiv der "Republikflucht". Um zu verhindern, dass der Tod der Wehages in der Öffentlichkeit mit dem Fluchtversuch in Verbindung gebracht wurde, erfand die Stasi eine "operative Legende". Sie bezog die Eltern des jungen Paares in die Aufrechterhaltung der Legende ein. Doch letztlich konnte das MfS trotz seiner Bemühungen nicht verhindern, dass sich in der Öffentlichkeit Gerüchte über die wahren Hintergründe von Eckhard und Christel Wehages Tod verbreiteten.
Die Ehepaare Zinke und Wehage wurden zunehmend mit diesen "Gerüchten" konfrontiert und hatten Schwierigkeiten, die Legende aufrechtzuerhalten. Daher kam es Ende März 1970 zu einer Aussprache zwischen ihnen, dem Militärstaatsanwalt und einem MfS-Major. Wie ein Bericht über dieses Treffen zeigt, übte die Stasi Druck auf die Eltern der Toten aus. Wohl nicht ganz freiwillig "einigten" sich die Anwesenden, den Vorfall weiterhin zu verschleiern. In der geplanten Traueranzeige für Christel und Eckhard Wehage sollte als Todesursache "tragischer Verkehrsunfall" angegeben werden, Todestag und Ort der Bestattung aber sollten geheim bleiben. Abschließend hielt der Verfasser des Berichts euphemistisch fest, dass die Ehepaare Zinke und Wehage sich "für die sachliche und höfliche Aussprache und Hilfeleistung durch den Militärstaatsanwalt und das Untersuchungsorgan" bedankten.
Gerüchte auf Vermutungen und Kombinationen beruhen, die Ursache im Landemanöver der Maschine u.ä. sowie der Waffenkammerkontrolle in Peenemünde, den Poststempeln der Abschiedsbriefe und der zeitlichen Mitteilung des Todes durch die Angehörigen haben können.
Seitens der Angehörigen ist geplant, die Beisetzung im engsten Kreis (Eltern, Halbbruder des Toten und Tante Frau [anonymisiert], der Toten) ohne Redner durchzuführen.
Sie erwogen, nach der Beisetzung in der "Volksstimme", Ausgabe Wolmirstedt, eine Annonce aufzugeben.
"Infolge eines tragischen Verkehrsunfalles verstarben unsere Kinder [Auslassung]
Im Namen der Hinterbliebenen Ehepaar Zinke und Wehage
Die Beisetzung fand in aller Stille statt, Wir danken für die Anteilnahme."
Die Angehörigen wollen sich jedoch die Aufgabe einer Annonce nochmals überlegen. Verbleiben sie bei der Aufgabe, sicherten sie zu, den Todestag und den Urnenfriedhof nicht zu benennen.
Ehepaar Wehage erwähnte, daß sie für ihren Sohn eine Lebensversicherung abgeschlossen haben und der örtliche Versicherungsvertreter sie bereits zweimals aufforderte, die Unfallmeldung abzugeben.
Deshalb wurde vereinbart, allen derartigen Anfragen zu begegnen, daß Vertreter der Armee erklärt hätten, alle derartigen Angelegenheiten zu regeln. Frau Wehage wird die Police, den Versicherungsnachweis dem Genossen Militärstaatsanwalt Bock zusenden, damit diese Sache zentral geregelt wird.
Beide Ehepaare bedankten sich für die sachliche und höfliche Aussprache und Hilfeleistung durch den Militärstaatsanwalt und das Untersuchungsorgan.
[Unterschrift: Wolf
Major]
Hauptabteilung I (NVA und Grenztruppen)
Die Hauptabteilung I war zuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten Führungsorgane, Truppen und Einrichtungen einschließlich der Grenztruppen der DDR. Armeeintern trug die Hauptabteilung I die Bezeichnung "Verwaltung 2000". Ihre Mitarbeiter wurden als Verbindungsoffiziere bezeichnet. Der Armeeführung war die Hauptabteilung I jedoch weder unterstellt noch rechenschaftspflichtig.
Die Hauptabteilung I ging im Dezember 1951 aus den Abteilungen VII a, VII b und VII c hervor. Seit 1956 (Gründung der Nationalen Volksarmee) trugen ihre Struktureinheiten die taktische Bezeichnung des Truppenteils bzw. der Einheit, für deren abwehrmäßige Sicherung sie zuständig waren. Der Mauerbau 1961 und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 sorgten für Zäsuren in der Arbeit der Hauptabteilung I.
Von 1956 bis 1961 war die Hauptabteilung I außerdem für die Überwachung der Bereitschaftspolizei zuständig und von 1958 bis 1986 für das Wachregiment des MfS. Die Arbeit der Hauptabteilung I umfasste folgende Aufgaben:
Der Leiter der Hauptabteilung I unterstand einem Ministerstellvertreter, zuletzt Gerhard Neiber. Leiter der Hauptabteilung I waren 1950-1953 Heinz Gronau, 1953-1955 Ottomar Pech, 1955-1981 Karl Kleinjung und ab 1981 Manfred Dietze. Der Verantwortungsbereich der Hauptabteilung I umfasste 1986 knapp 300.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte. Hierfür waren ihr 1989 2.223 Planstellen zugeteilt, darunter jede 2. Stelle für IM-führende Mitarbeiter. Die Hauptabteilung I verfügte über 13 Planstellen für Offiziere im besonderen Einsatz (OibE). 1987 führte die Hauptabteilung I 22.585 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Zu den Informanten zählten nicht nur Militärangehörige oder Zivilbeschäftigte. Die Zahl der IM, die die Hauptabteilung I im Westen führte, lag unter 150. Die Bearbeitung von Operativen Vorgängen (OV) und Operativen Personenkontrollen (OPK) war vergleichsweise gering. Sie betrug 1988 59 OV und 312 OPK.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Die Hauptabteilung XIX entstand 1964 durch Umbenennung der Hauptabteilung XIII. Ihre Aufgaben waren die Sicherung des Ministeriums für Verkehrswesen und dessen zentraler Einrichtungen sowie der Verkehrsträger Reichsbahn, Schifffahrt, Kraftverkehr und Luftfahrt als auch der Transportpolizei und deren Arbeitsgebiet K I.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Der Begriff Untersuchungsorgan (russ.: sledstwennyj organ) ist sowjetischen Ursprungs und verdrängte in der DDR in den frühen 50er Jahren allmählich den traditionellen deutschen Begriff Ermittlungsbehörde. Untersuchungsorgane hatten laut Strafprozessordnung (StPO) der DDR die Befugnisse polizeilicher Ermittlungsbehörden und unterstanden bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens de jure der Aufsicht des Staatsanwaltes (§§ 95-98 StPO/1952, §§ 87-89 StPO/1968).
Während anfangs das MfS insgesamt als Untersuchungsorgan galt, wurden später zumeist nur noch jene Bereiche, die strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführten, also die HA IX in der Berliner MfS-Zentrale und die fachlich nachgeordneten Abt. IX der BV, als Untersuchungsorgan bezeichnet. Neben den Untersuchungsorganen des MfS gab es in der DDR die Untersuchungsorgane des MdI (Kriminalpolizei) und der Zollverwaltung bzw. ihres Vorläufers Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (Zollfahndungsdienst). Bis 1953 übten auch die Kommissionen für staatliche Kontrolle in Wirtschaftsstrafverfahren die Funktionen von Untersuchungsorganen aus.
IM-Bericht zu Gerüchten über die Todesumstände von Christel und Eckhard Wehage Dokument, 2 Seiten
Bericht eines IMS über den Obermaat Wehage Dokument, 2 Seiten
"Maßnahmeplan" zur weiteren Aufklärung der versuchten Flugzeugentführung durch das Ehepaar Wehage Dokument, 11 Seiten
Parteiinformation an die Regierung anlässlich eines Fluchtversuchs mit Waffengewalt Dokument, 3 Seiten