Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 4, Bl. 81-87
Nachdem im Herbst 1965 für den Bezirk Leipzig ein Verbot von Beatmusik spielenden "Laienkapellen" erlassen wurde, riefen zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration auf. Die Stasi leitete Ermittlungen ein, bei denen sie Flugblätter und Fundorte untersuchen ließ. Nachdem die Urheber gefunden waren, wurden diese vom Staatsanwalt des Bezirkes Leipzig wegen Aufforderung zur Zusammenrottung angeklagt.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Die Urheber der ersten Flugblätter waren zwei Jugendliche aus dem Bezirk Leipzig.
Die beiden Beat-Fans ärgerten sich über das Verbot der "Laienmusikgruppen" und entschlossen sich, eine Protestaktion zu starten. Mit einem eigens dafür gekauften Kinderstempelkasten stellten die beiden Oberschüler am Nachmittag des 23. Oktober 1965 gemeinsam 174 Flugblätter her. Sie riefen damit andere "Beat-Freunde" zu einem "Protestmarsch" am 31. Oktober auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz auf. In der vorliegenden Anklageschrift wurden die beiden Jugendlichen zusammen mit einem weiteren an der Aktion beteiligten Schüler beschuldigt "zum Ungehorsam gegen rechtsgültige Verordnungen und zur Zusammenrottung" aufgerufen zu haben.
[Handschriftliche Ergänzung: Jugendhilfe 7901/300]
Der Staatsanwalt des
Bezirkes Leipzig
- Abt. 1 A -
I A - 55/65
Leipzig, den 18. Nov. 1965
Kreisgericht Leipzig-Land
- Jugendstrafkammer -
Leipzig
Haftsache!
Anklage
1. Den Schüler
[anonymisiert]
geb. am [anonymisiert]
wh. [anonymisiert] Kr. Leipzig
[anonymisiert]
[anonymisiert]
Vorstrafen keine,
Familienstand: ledig
Staatsangehörigkeit: DDR
Haftbefehl vom 07.11.1965 d.KG Leipzig-Land
in dieser Sache in U-Haft vom 6. bis 18.11.65
2. den Schüler
[anonymisiert]
geb. am [anonymisiert]
wh. [anonymisiert] Kr. Leipzig
[anonymisiert]
[anonymisiert]
Vorstrafen: keine
Familienstand: ledig
Staatsangehörigkeit: DDR
Haftbefehl vom 07.01.65 d.KG Leipzig-Land
in dieser Sache in U-Haft vom 6.bis 18.11.65
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Der schriftliche richterliche Haftbefehl bildete die Grundlage für eine reguläre Verhaftung (§ 114 StPO/1949; § 142 StPO/1952; § 124 StPO/1968). Beschuldigte oder Angeklagte mussten unverzüglich, spätestens am Tage nach ihrer Ergreifung dem zuständigen Gericht vorgeführt werden (§§ 114 b, 128 StPO/1949; §§ 144, 153 StPO/1952; § 126 StPO/1968) – vor allem in den frühen 50er Jahren wurde diese Frist vom MfS teilweise überschritten und der Zeitpunkt der Festnahme entsprechend geändert. Auch wurden die Festgenommenen nicht bei Gericht vorgeführt, die vom MfS ausgewählten Haftrichter kamen zur Ausstellung des Haftbefehls in die Untersuchungshaftanstalten.
Rechtliche Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls waren ein dringender Tatverdacht und ein gesetzlich definierter Haftgrund, z. B. Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949; § 141 StPO/1952; § 122 StPO/1968) sowie während des Ermittlungsverfahrens ein Antrag des Staatsanwaltes; im Hauptverfahren konnte das Gericht auch ohne Antrag einen Haftbefehl erlassen. Laut einer Richtlinie des Obersten Gerichts der DDR vom 17.10.1962 lag ein Haftgrund auch vor bei "Verbrechen im Auftrag feindlicher Agenturen, bei konterrevolutionären Verbrechen" und "bei anderen schweren Verbrechen".
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Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 4, Bl. 81-87
Nachdem im Herbst 1965 für den Bezirk Leipzig ein Verbot von Beatmusik spielenden "Laienkapellen" erlassen wurde, riefen zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration auf. Die Stasi leitete Ermittlungen ein, bei denen sie Flugblätter und Fundorte untersuchen ließ. Nachdem die Urheber gefunden waren, wurden diese vom Staatsanwalt des Bezirkes Leipzig wegen Aufforderung zur Zusammenrottung angeklagt.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Die Urheber der ersten Flugblätter waren zwei Jugendliche aus dem Bezirk Leipzig.
Die beiden Beat-Fans ärgerten sich über das Verbot der "Laienmusikgruppen" und entschlossen sich, eine Protestaktion zu starten. Mit einem eigens dafür gekauften Kinderstempelkasten stellten die beiden Oberschüler am Nachmittag des 23. Oktober 1965 gemeinsam 174 Flugblätter her. Sie riefen damit andere "Beat-Freunde" zu einem "Protestmarsch" am 31. Oktober auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz auf. In der vorliegenden Anklageschrift wurden die beiden Jugendlichen zusammen mit einem weiteren an der Aktion beteiligten Schüler beschuldigt "zum Ungehorsam gegen rechtsgültige Verordnungen und zur Zusammenrottung" aufgerufen zu haben.
3. Den Schüler
[anonymisiert]
geb. am [anonymisiert] in [anonymisiert]
wh. [anonymisiert], Kr. Leipzig,
[anonymisiert]
[anonymisiert]
Vorstrafen keine
Familienstand: ledig
Staatsangehörigkeit: DDR
Haftbefehl vom 07.11.65 d. KG Leipzig-Land
in dieser Sache in U-Haft vom 6. bis 18.11.65
klage ich an,
als Jugendliche mit Verantwortungsreife gemeinschaftlich und vorsätzlich handelnd die verfügend vollziehende Tätigkeit der staatlichen Organe in der Deutschen Demokratischen Republik gefährdet zu haben.
Die Beschuldigten haben sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen und am 23.10.1965 174 Flugblätter hergestellt, in denen zum Ungehorsam gegen rechtsgültige Verordnungen und zur Zusammenrottung aufgefordert wurde. Diese Flugblätter haben die Besch. [anonymisiert] und [anonymisiert] am 25.10.1965 im Stadtgebiet von Leipzig verbreitet.
Darüber hinaus hat der Besch. [anonymisiert] in der Zeit vom 1. zum 03.11.1965 abermals Flugblätter hergestellt. In diesen wurde zur Einstellung der Maßnahmen der Sicherheitsorgane zu den Zusammenrottungen vom 31.10.1965 aufgefordert. Zur Organisierung einer weiteren Flugblattaktion hat der Beschuldigte einige schon hergestellte Exemplare dritten Personen zur Kenntnis gebracht.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Der schriftliche richterliche Haftbefehl bildete die Grundlage für eine reguläre Verhaftung (§ 114 StPO/1949; § 142 StPO/1952; § 124 StPO/1968). Beschuldigte oder Angeklagte mussten unverzüglich, spätestens am Tage nach ihrer Ergreifung dem zuständigen Gericht vorgeführt werden (§§ 114 b, 128 StPO/1949; §§ 144, 153 StPO/1952; § 126 StPO/1968) – vor allem in den frühen 50er Jahren wurde diese Frist vom MfS teilweise überschritten und der Zeitpunkt der Festnahme entsprechend geändert. Auch wurden die Festgenommenen nicht bei Gericht vorgeführt, die vom MfS ausgewählten Haftrichter kamen zur Ausstellung des Haftbefehls in die Untersuchungshaftanstalten.
Rechtliche Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls waren ein dringender Tatverdacht und ein gesetzlich definierter Haftgrund, z. B. Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949; § 141 StPO/1952; § 122 StPO/1968) sowie während des Ermittlungsverfahrens ein Antrag des Staatsanwaltes; im Hauptverfahren konnte das Gericht auch ohne Antrag einen Haftbefehl erlassen. Laut einer Richtlinie des Obersten Gerichts der DDR vom 17.10.1962 lag ein Haftgrund auch vor bei "Verbrechen im Auftrag feindlicher Agenturen, bei konterrevolutionären Verbrechen" und "bei anderen schweren Verbrechen".
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Vernehmungsprotokoll eines Schülers wegen Herstellung von Flugblättern mit Aufruf zur Leipziger "Beat-Demo" Dokument, 8 Seiten
Protokoll über die durchgeführte Wohnungsdurchsuchung wegen der Flugblätter mit Aufruf zur Leipziger Beat-Demo Dokument, 2 Seiten
Haftbefehl gegen einen Urheber der Flugblätter mit Aufruf zur Leipziger Beat-Demo Dokument, 1 Seite
Verfügung des Staatsanwaltes an den Haftrichter zu einem Urheber der Flugblätter mit Aufruf zur Leipziger Beat-Demo Dokument, 1 Seite