"Unter Kontrolle halten"

Genau beobachtete die Stasi, wie die Bevölkerung der DDR auf das Unglück reagierte. Eine Woche nach Bekanntwerden der Katastrophe fasste die Zentrale Informations- und Auswertungsgruppe (ZAIG) der Stasi die Stimmung zusammen. Pflichtschuldig notiert der Bericht zunächst ganz im Sinne der Staatsführung Mitleidsbekundungen und dass unter den Bürgerinnen und Bürgern "Beruhigung und Befriedigung" eingetreten seien.

Jedoch kam die Stasi nicht umhin, den Unmut der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen. Gerade die verharmlosende und unzureichende Berichterstattung in den Medien der DDR sorgte für Ärger. Denn durch das "Westfernsehen" waren die Bürger über das wahre Ausmaß des Unglücks durchaus im Bilde, und der Kontrast zur Berichterstattung der staatlichen Medien war offensichtlich.

Bei der Belegschaft des Kernkraftwerks "Bruno Leuschner" bei Greifswald bemerkte die Stasi Besorgnis. Die Ingenieure und Techniker des Kraftwerks stellten Fragen zu den Ursachen und Auswirkungen von Tschernobyl, einige von ihnen zweifelten an der Sicherheit der Kernkraftwerke sowjetischer Bauart in der DDR.

Der Stasi war es wichtig, die Ängste der Bürger vor der Zukunftstechnologie Atomkraft nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Proteste gegen die Kernkraft wie im Westen waren unbedingt zu verhindern. Zu einem Vermerk über ein Gespräch mit dem Präsidenten des SAAS, Georg Sitzlack, notierte Stasi-Chef Mielke handschriftlich, was die Arbeit der Stasi im Umgang mit Tschernobyl fortan prägen sollte: "unter Kontrolle halten".