Übergabe von Materialien an den KGB wegen der Havarie in Tschernobyl
Signatur: BStU, MfS, HA VII, Nr. 1333, Bl. 231
Nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl versuchte die Sowjetunion, Details über den Unfall geheim zu halten. Stattdessen sammelte sie über alle möglichen Kanäle selbst Informationen darüber, wie den Folgen des Unglücks zu begegnen sei.
Der Super-GAU am 26. April 1986 war der bis dahin schwerste nukleare Unfall bei der zivilen Nutzung der Kernkraft. Die unkontrolliert entwichene Radioaktivität war immens, und ihre Langzeitfolgen halten bis heute an.
Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR bedeutete Tschernobyl eine Herausforderung: Unmittelbar musste der politische und ideologische Schaden für die SED-Diktatur begrenzt werden. Das Credo "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" wirkte nach dem Unglück hohl. Das eigene ehrgeizige Kernenergieprogramm verlor merklich an Vertrauen, basierten die Reaktoren doch ebenfalls auf sowjetischer Technik.
Zudem erhielt die ostdeutsche Anti-Atomkraft-Bewegung Zulauf. Weil sie in Opposition zur Kernenergiepolitik, der Umweltpolitik und der Informationspolitik der SED-Führung stand, wollte die Staatssicherheit sie nun konsequent bekämpfen.
Auch der Wirtschaft der DDR drohte Schaden: Die Bundesrepublik, ein wichtiger Abnehmer für Lebensmittel aus ostdeutscher Produktion, ließ aus Angst vor verstrahlter Ware Lieferungen nicht mehr ohne weiteres über die Grenze.
Am 29. April 1986 fragte der sowjetische KGB beim MfS an, wie denn in der DDR Brände in Kernkraftwerken gelöscht werden sollten, und wie sich Rettungskräfte im Ernstfall gegen hohe Strahlenbelastung schützen würden.
Offenbar suchte der KGB dringend nach Anregungen, wie sich die Folgen der Katastrophe bewältigen ließen. In Tschernobyl brannte der Reaktorkern. Ein Gemisch aus Beton, Graphit und den geschmolzenen Brennstäben hatte eine lavaartige Masse gebildet. Löschversuche mit Sand, Borsäure und später Blei, wegen der hohen Strahlung aus großer Höhe abgeworfen, waren ohne Wirkung geblieben. Der geschmolzene Kern glühte mit einer Temperatur von über 1200 Grad Celsius weiter. Bei den Löscharbeiten an den Kraftwerksgebäuden und verzweifelten Notfalloperationen innerhalb des Reaktorgebäudes wurden zahlreiche Einsatzkräfte schwer verstrahlt. 28 von ihnen starben teils binnen einer Woche, teils innerhalb weniger Monate nach dem Unglück.
Das MfS lieferte pflichtschuldig die angefragten Informationen. Man konnte dem KGB jedoch wenig Handfestes bieten: Am 9. Mai sandte die Stasi eine Sammlung wissenschaftlicher Artikel und eine einschlägige Publikation aus der Bundesrepublik, ein Bulletin und allgemeine Informationen der IAEA, die Promotion eines Mitarbeiters des SAAS sowie "Lösungsvorschläge und Ideen" zweier Experten.
Metadaten