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Geschichten
"Staatsbürgerliche Pflichten grob verletzt"
Der Rauswurf des Liedermachers Wolf Biermann 1976 aus der DDR
Die Biographie Wolf Biermanns schien zunächst wie gemacht für ein Leben in der
DDR. Der Sohn aus einer kommunistischen Arbeiterfamilie siedelte 1953 in die
DDR über. Mit seinen Liedern und Gedichten eckte er dort allerdings schnell an. Die
SED belegte ihn mit einem Auftrittsverbot, ließ ihn durch die
Stasi überwachen, schränkte seinen Bewegungsraum ein und bürgerte ihn 1976 hinterrücks wieder aus.
"Staatsbürgerliche Pflichten grob verletzt"
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Einleitung
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. Zum Jahresende 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen ihn. Bis dahin hatten ihm seine Auftritte Popularität verschafft, auch im Westen Deutschlands. In der DDR kursierten zahllose wieder und wieder kopierte Tonbandmitschnitte seiner Lieder und Abschriften der Gedichte im Untergrund.
Am liebsten wären die Parteioberen Biermann schon im Sommer 1966 losgeworden. Ihn auf eine Arbeitsstelle in der Provinz abzuschieben, wie SED-Kultur- und Ideologiechef Kurt Hager empfahl, hätte jedoch zu viel Staub aufgewirbelt. Aber Biermann sollte zumindest aus der Öffentlichkeit verschwinden, so lautete der Auftrag der Staatspartei an ihre Geheimpolizei, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Das bedeutete, ihn konsequent zu überwachen. Beim MfS liefen alle Informationen, Gerüchte und Berichte zahlloser Spitzel über Biermann zusammen. Die Stasi überwachte ihn stetig, baute Wanzen in seine Wohnung, schnitt seine Telefonate mit, las seine Briefe, belauerte ihn vor seinem Haus und schickte ihm Spitzel in die Wohnung.
Am Ende waren allein im Zentralen Operativen Vorgang (ZOV) "Lyriker" – der aber nur den Kern der Materialsammlung des MfS über Biermann bildete – 56 Aktenbände gefüllt. Die Staatssicherheit verschaffte sich einen präzisen Überblick über alle Personen, die mit ihm befreundet waren und warb unter ihnen Informanten an.
Biermanns Bewegungsraum wurde immer kleiner: In der DDR durfte er nicht auftreten und weder nach Ost noch nach West reisen. Anfragen aus dem Ausland an den Liedermacher gab es immer wieder. Das SED-Regime lehnte entsprechende Reiseanträge Biermanns aber zumeist ab. Wenn schon nicht zu verhindern sei, dass dort seine Bücher und Schallplatten erscheinen, so könne man sich jedem Auftritt in den Weg stellen, indem man ihm die Ausreise verweigere.
Ab 1973 entwickelte das MfS einen Plan, Biermann gegen seinen Willen auszubürgern. Drei Jahre später sollte dieser zum Tragen kommen, denn die innenpolitische Situation in der DDR hatte sich zugespitzt. Viele Menschen protestierten gegen die SED-Verleumdungen des in den Freitod gegangenen Pfarrers Brüsewitz. Mehr und mehr Kritiker bestanden auf der Umsetzung der auch von der DDR bei der KSZE-Konferenz in Helsinki im Jahr zuvor anerkannten Menschenrechte.
Die Machthaber waren unter Druck. Scheinheilig erlaubten sie Biermann, auf Einladung der Gewerkschaft IG Metall in Köln aufzutreten. Das Konzert diente der SED-Führung als Vorwand, den Künstler hinterrücks auszubürgern und ihm die Rückkehr zu verweigern.
Einleitung
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Der Plan entsteht
1973 erkrankte Biermanns geliebte Oma Meume in Hamburg. Er bat die Obrigkeit, sie ein letztes Mal besuchen zu dürfen. Er verwies auf ihre Verdienste als Kommunistin und versprach, sich jeglicher Aktivität jenseits des Krankenbesuchs zu enthalten. Für ihn überraschend wurde die Reise genehmigt: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hoffte, Biermann würde einen Vorwand liefern, ihn endgültig los zu werden.
Im April 1973 hatte das MfS einen Plan für "den Abschluss der operativen Bearbeitung Biermanns" entwickelt. Eigentlich, so sinnierten die Genossen darin, müsse man ihn wegen "staatsfeindlicher Hetze" verhaften und zehn bis 15 Jahre einsperren. Doch die Stasioffiziere entwickelten die viel eleganter erscheinende Strategie, ihn in den Westen reisen zu lassen, um ihm dann, wenn er dort seine Lieder öffentlich singt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Sollte aber Biermann wider Erwarten keinen solchen Vorwand liefern, werde das MfS ihn bei seiner Rückkehr festnehmen: 24 Stunden Verhör und Androhung einer langen Haftstrafe sollten genügen, ihm mit Nachdruck die "freiwillige Übersiedlung nach Westdeutschland" nahezulegen. Allerdings glaubte die Stasi selbst nicht, dass Biermann auf diese Erpressung eingehen würde. Sie befürchtete vielmehr, dass er seine Weigerung, das Land zu verlassen mit der "provokatorischen Forderung […] zur Verbüßung der Freiheitsstrafe" verbinden würde. Aus diesen Erwägungen empfahlen die Planer im MfS, in diesem Fall "sollte auch gegen seinen Willen eine sofortige Ausweisung nach Westdeutschland vorgenommen werden".
Exakt nach einem solchen Drehbuch sollte das sowjetische KGB verfahren, als es knapp ein Jahr später, am 13. Februar 1974, Alexander Solshenizyn festnahm, mit einer Verurteilung wegen Landesverrats bedrohte und ihn am folgenden Tag gegen seinen Willen aus dem Lande brachte.
1973 fuhr Biermann zu seiner Großmutter nach Westdeutschland. Dass er auf dieser Reise eine Schallplatte aufnahm, bekam die Stasi nicht mit. Somit blieb ihr Plan vorerst in der Schreibtischschublade. Auf Abruf – im Oktober 1976 wurde er wieder vorgelegt und nach Biermanns Konzert in Köln umgesetzt.
Der Plan entsteht
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Informationsbericht über ein abgehörtes Lied von Wolf Biermann: "Stasiballade"
Informationsbericht über ein abgehörtes Lied von Wolf Biermann: "Stasiballade"
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Reisesperre gegen Wolf Biermann
Reisesperre gegen Wolf Biermann
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Vermerk über einen Reiseantrag Wolf Biermanns
Vermerk über einen Reiseantrag Wolf Biermanns
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Konzeption zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
Konzeption zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
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Rechtliche Einschätzung zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft
Rechtliche Einschätzung zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft
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Bericht über die Reaktion Wolf Biermanns auf die Ablehnung eines Reiseantrages
Bericht über die Reaktion Wolf Biermanns auf die Ablehnung eines Reiseantrages
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Bericht über eine Feier zu Wolf Biermanns 38. Geburtstag in seiner Wohnung
Bericht über eine Feier zu Wolf Biermanns 38. Geburtstag in seiner Wohnung
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Außenansicht des Wohnhauses von Wolf Biermann
Außenansicht des Wohnhauses von Wolf Biermann
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Konspirative Durchsuchung von Wolf Biermanns Wohnung
Konspirative Durchsuchung von Wolf Biermanns Wohnung
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Kein Interesse am Protest gegen Franco
Während die Stasi Biermann weiter bespitzelte und ihre Pläne gegen ihn verfeinerte, wartete sie auf einen günstigen Moment, diese umzusetzen. Und auf das Signal ihrer Herren im Politbüro, endlich loszuschlagen.
Im September 1975 wurde Biermann eingeladen, bei einer Veranstaltung in Offenbach gegen den mörderischen Terror des Diktators Franco in Spanien aufzutreten. Die Hinrichtung der fünf Oppositionellen Ángel Otaegui, José Humberto Baena Alonso, Ramón García Sanz, José Luis Sánchez-Bravo Solla und Juan Paredes Manot (Txiki) löste in der Weltöffentlichkeit nicht nur unter deren politischen Freunden Entsetzen aus. Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme nannte Franco einen "satanischen Mörder". Auch die DDR-Zeitungen waren gefüllt mit empörten Schlagzeilen. Ende September 1975 berief das Politbüro sogar den DDR-Botschafter in Madrid ab.
Womöglich unter diesem Eindruck genehmigte das DDR-Kulturministerium die Reise nach Offenbach und setzte Biermann davon telefonisch in Kenntnis. Das MfS war über die Genehmigung verstimmt. Hier sah man die Dinge zweckmäßiger: "Die DDR-Staatsorgane", so schrieb die Hauptabteilung IX, haben "kein zwingendes Interesse an einer Protestbekundung gegen die Terrorurteile des faschistischen Franco-Regimes vom Territorium der BRD aus". In der Tat passte ein solches Konzert nicht in ihren Ausbürgerungsplan: Wie sollte Biermann eine "Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflichten" nachgesagt werden, wenn er gegen faschistischen Terror auftrat?
Über die Divergenz zwischen Staatssicherheits- und Kulturministerium wurde höheren Ortes entschieden: Zurückgekehrt von einer Reise in die Sowjetunion, widerrief die SED-Spitze nach ihrer Ankunft am 13. Oktober die Reisegenehmigung. Wolf Biermann, der seinen Pass mit dem Visum im Kulturministerium abholen wollte, erhielt stattdessen ein Duplikat ohne das Visum. Der schon gestempelte Original-Pass blieb beim MfS. Biermann wurde trocken mitgeteilt, dass die Reise ausfällt. Er war bestürzt über diesen Affront. Er sei eine "Brüskierung all der Kommunisten und Antifaschisten, die diese Großveranstaltung in Offenbach gegen das Franco-Regime […] vorbereitet haben".
Kein Interesse am Protest gegen Franco
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Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 19.09.1975
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 19.09.1975
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Stellungnahme der Hauptabteilung IX zu einem Reiseantrag Wolf Biermanns
Stellungnahme der Hauptabteilung IX zu einem Reiseantrag Wolf Biermanns
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Aufhebung der Reisesperre gegen Wolf Biermann vom 16.10. bis 22.10.1975
Aufhebung der Reisesperre gegen Wolf Biermann vom 16.10. bis 22.10.1975
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Eingezogener Reisepass Wolf Biermanns mit Ausreisevisum
Eingezogener Reisepass Wolf Biermanns mit Ausreisevisum
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Aktennotiz über Wolf Biermanns Reaktion auf die Ablehnung seines Reiseantrages
Aktennotiz über Wolf Biermanns Reaktion auf die Ablehnung seines Reiseantrages
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Bericht über die Veranstaltung "Solidarität mit dem spanischen Widerstand"
Bericht über die Veranstaltung "Solidarität mit dem spanischen Widerstand"
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Die "Zange der Konterrevolution"
1976 ergab sich für Biermann zum ersten Mal seit dem Verbot 1965 eine halb legale Auftrittsmöglichkeit in der DDR. Die mit ihm befreundete Liedermacherin Bettina Wegner hatte mit dem Jugendpfarrer Schubach in Prenzlau die Idee, ihn in seiner Kirche auftreten zu lassen. In einer seiner neuen Balladen hatte Biermann auch auf Motive aus der Bibel zurückgegriffen. Der Pfarrer kündigte das Konzert als "Jugendtreff" im Rahmen der "Prenzlauer Kirchentage" an. Obwohl Biermann der Einladung zunächst eher ablehnend gegenüberstand, da er nicht "unter den Rock der Kirche kriechen" wollte, sang er am 11. September 1976 vor Hunderten meist junger Leute in der Prenzlauer Nikolai-Kirche.
Sein Auftritt begeisterte das Publikum, seine Lieder fanden breite Zustimmung. Das Konzert bewies, dass er auch den Nerv der jüngeren Generation, der er bis dahin erfolgreich vorenthalten worden war, zu treffen vermochte.. Nachdrücklich forderte Biermann die jungen Christen dazu auf, trotz, ja wegen der Schwierigkeiten in der DDR zu bleiben, nicht abzuhauen, sondern sich ganz irdisch zu wehren. Der Auftritt zeigte, dass auch die Stasi nicht alles unter Kontrolle hatte, denn sie erfuhr erst im Nachhinein davon.
Doch vor allem zeigte das Konzert, dass – so die Fremdheit zwischen dem Atheisten Biermann und der Kirche einmal durchbrochen war – sich hier ein Raum öffnete, der dem staatlichen Bann entzogen war. Ein Zusammengehen der linken Kritiker der SED wie Biermann und Robert Havemann mit der Kirche war die von der SED befürchtete "Zange der Konterrevolution".
Die "Zange der Konterrevolution"
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Abgehörtes Telefoninterview von Wolf Biermann mit dem NDR
Abgehörtes Telefoninterview von Wolf Biermann mit dem NDR
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Auftrag Mielkes, Informationen über Wolf Biermanns Auftritt in Prenzlau zu erarbeiten
Auftrag Mielkes, Informationen über Wolf Biermanns Auftritt in Prenzlau zu erarbeiten
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Fahndungsbild mit Kurzauskunft zu Wolf Biermann
Fahndungsbild mit Kurzauskunft zu Wolf Biermann
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Bericht über Wolf Biermanns Auftritt in der Prenzlauer Nikolaikirche am 11. September 1976
Bericht über Wolf Biermanns Auftritt in der Prenzlauer Nikolaikirche am 11. September 1976
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Das Konzert
Am Abend des 13. November 1976 stand Wolf Biermann vor etwa 7.000 meist jungen Gewerkschaftern und Studenten in der Kölner Sporthalle. Knisternde Spannung lag in der Luft. Dem verfemten Liedermacher galt die große Sympathie und Neugier des Publikums. Auch Biermann war aufgeregt: "Vielleicht kommt es daher, dass ich die letzten zwölf Jahre immer im Zimmer gesungen habe." Er hatte sich vorgenommen in "kritischer Solidarität" über die DDR zu sprechen. So verzichtete er auf seine allerschärfsten Lieder, wie die Stasiballade oder die Populärballade, aber beschönigte auch nicht das Leben in der DDR. Seine manchmal hoffnungsvollen, manchmal bitteren, auch sarkastischen Lieder galten vor allem den Menschen, mit denen er in der DDR lebte, ihrem Mut und ihrer Verzagtheit, ihren Ängsten wie ihrer Zuversicht. Man spürte: Die DDR ist sein Land, an dem er sich reibt in Liebe und Hass. Natürlich, so sagte er, seien die Schwierigkeiten immer da am größten, wo man gerade lebt. Aber genau dort müsse man den Streit wagen, dort wo man lebt und nicht in eine vermeintlich bessere Welt weglaufen. Leidenschaftlich diskutierte er mit dem Publikum, rang um eine Position zwischen den unterschiedlichen Extremen, die ihm von den Rängen entgegenhallten. Er kritisierte die SED-Politbürokraten mit aller Schärfe, nahm sie aber – selbst Honecker – gegen maoistische Attacken in Schutz.
Mit Verzögerung drang die Nachricht vom Konzert über die Grenze. Der Westdeutsche Rundfunk hatte es zwar live im Hörfunk übertragen, doch der war in der DDR kaum zu empfangen. Drei Tage später, am 16. November, gab das Politbüro die Ausbürgerung des Liedermachers bekannt. In einem Leitartikel des "Neuen Deutschlands" wurde das, was Biermann in Köln gesagt und gesungen hatte, böswillig und verlogen auf den Kopf gestellt.
Die Nachricht der Ausbürgerung schockierte die Menschen. Die westdeutsche ARD beschloss, das gesamte Konzert im Ersten Fernsehprogramm, das nahezu in der gesamten DDR zu empfangen war, auszustrahlen. Nach Einspruch von CDU und CSU wurde diese Sendung zwar aus der Primetime ins Spätprogramm geschoben und im Sendegebiet des Bayrischen Rundfunks gänzlich gestrichen. Aber kein noch so spannender Fernsehkrimi hätte in der kalten Novembernacht derart die Straßen der DDR entvölkern können wie die Ausstrahlung des Konzerts.
Das Konzert
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Einladung der IG Metall an Wolf Biermann zu Auftritten bei Jugendveranstaltungen
Einladung der IG Metall an Wolf Biermann zu Auftritten bei Jugendveranstaltungen
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Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 10. Oktober 1976
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 10. Oktober 1976
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Plan zur Beobachtung Wolf Biermanns während seiner Auftritte in der Bundesrepublik
Plan zur Beobachtung Wolf Biermanns während seiner Auftritte in der Bundesrepublik
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Offene Fragen zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
Offene Fragen zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
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Dokumentation über Wolf Biermanns Ausreise aus der DDR am 11.11.1976
Dokumentation über Wolf Biermanns Ausreise aus der DDR am 11.11.1976
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Wolf Biermann bei der Ausreise am Grenzübergang Friedrichstraße
Wolf Biermann bei der Ausreise am Grenzübergang Friedrichstraße
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Plan zur Durchführung der Ausbürgerung Wolf Biermanns mit Argumentationshilfen
Plan zur Durchführung der Ausbürgerung Wolf Biermanns mit Argumentationshilfen
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Anordnung zum Einziehen des Reisepasses von Wolf Biermann
Anordnung zum Einziehen des Reisepasses von Wolf Biermann
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Der Protest
SED-Chef Erich Honecker hatte die Ausbürgerung Biermanns am 16. November 1976 selbst auf die Tagesordnung des Politbüros gesetzt. Über die Planungen und Vorbereitungen seines Ministeriums hatte ihn Stasichef Mielke schon lange zuvor in Kenntnis gesetzt. Der hatte seit Jahren auf das Signal zum Losschlagen gewartet. Diesmal war die Falle gestellt, und Biermann, der die Reisegenehmigung als endlich errungene Liberalisierung missdeutete, war getäuscht worden. Der DDR-Rundfunk verbreitete die Meldung in jeder Nachrichtensendung.
Zuerst fand Schriftsteller Franz Fühmann Worte. Er schrieb an den Vorsitzenden des Ministerrates und an seine Verleger, "dass ihn diese Maßnahme […] aufs Äußerste verstört und beunruhigt, da ich sie weder mit der Würde, dem Ansehen und auch der Stärke dieses meines Staates vereinbaren kann".
Am Nachmittag lud der Dichter Stephan Hermlin prominente, in Ost und West hoch angesehene, DDR-Schriftstellerkollegen ein. Für ihn hatte die Ausbürgerung eine erschreckende historische Parallele in Deutschland. Schon die Naziregierung hatte Kritiker und Juden aus der "deutschen Volksgemeinschaft" ausgestoßen und ausgebürgert. Die Autoren formulierten einen gemeinsamen Protestbrief, in dem sie die SED-Führung baten "die beschlossene Maßnahme zu überdenken".
So zurückhaltend dieser Brief auch formuliert war, weitergeleitet an die internationale Presse stellte er den ersten öffentlichen Protest einer in den folgenden Tagen anwachsenden Gruppe von DDR-Intellektuellen gegen die Politik des Politbüros dar. Und so sehr die SED in den folgenden Wochen und Monaten auch versuchte, diesen Riss durch Druck und Verlockungen zu kitten – einen Weg zurück in die scheinbare Übereinstimmung gab es nicht mehr.
Hermlin hatte sich auf einen kleinen Kreis angesehener Intellektueller beschränkt, die vor Repressalien des Staates geschützt schienen. Doch jenseits dieses privilegierten Kreises meldeten sich Viele zu Wort, die bereit waren, der willkürlichen Reaktion der Herrschenden zu trotzen. Graffiti an Wänden und auf Straßen, Flugblätter, öffentliche Proteste an Arbeitsplätzen und Universitäten wurden mit Repressalien aller Art, mit Gefängnisstrafen, Zwangsausbürgerungen, Entlassungen, Exmatrikulationen und Berufsverboten beantwortet.
SED-Ideologiechef Kurt Hager lobte die Welle der Repression als ein "reinigendes Gewitter": Die SED glaubte nun zu wissen, wer der Feind sei. Aber die Spannungen blieben und verstärkten sich noch. Sie entluden sich schließlich in der Friedlichen Revolution 1989.
Der Protest
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Brief Robert Havemanns an Erich Honecker
Brief Robert Havemanns an Erich Honecker
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Anonyme Anruferin zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
Anonyme Anruferin zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
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Haftbefehl gegen Thomas Auerbach
Haftbefehl gegen Thomas Auerbach
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Flugblatt "Lasst die Kommunisten leben"
Flugblatt "Lasst die Kommunisten leben"
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Bericht über die Aktivitäten von Biermann-Freunden in der DDR nach dessen Ausbürgerung
Bericht über die Aktivitäten von Biermann-Freunden in der DDR nach dessen Ausbürgerung
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Pressekonferenz Wolf Biermanns nach seiner Ausbürgerung
Pressekonferenz Wolf Biermanns nach seiner Ausbürgerung
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Graffiti "Holt Biermann in die DDR zurück"
Graffiti "Holt Biermann in die DDR zurück"
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Brief von Wolf Biermann an Robert Havemann
Brief von Wolf Biermann an Robert Havemann
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Flugblatt "Wie lang werden die Menschenrechtsverletzungen in der DDR noch andauern?"
Flugblatt "Wie lang werden die Menschenrechtsverletzungen in der DDR noch andauern?"
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Unvollendetes Graffiti zur Ausbürgerung Wolf Biermanns
Unvollendetes Graffiti zur Ausbürgerung Wolf Biermanns