Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
lehrt worden sei. Die Belehrung war die Antwort auf meine Frage, welches denn die Rechte seien, die ich hätte: "Sie können sich beschweren", sagte der Vernehmer.
Er hatte es eilig und sah aus wie einer der zivil gekleideten Männer, die ich in der Nacht habe durch die Karl-Marx-Allee patroullieren sehen oder wie einer von denen, die ich in der Schönhauser Allee habe Leute zusammenschlagen sehen. Vielleicht war er zwei Jahre älter.
Ich wurde gegen halb fünf entlassen. Ich habe alle meine Sachen zurückerhalten bis auf ein Informationsblatt der Gethsemanegemeinde und den Durchschlag eines Briefes von Gerhard Scheumann, meinem Mentor an der AdK, an die Künstleragentur, worüber ich keinen Nachweis erhalten habe.
Ich fuhr mit der U-Bahn Richtung Alexanderplatz und dann mit der S-Bahn zur Abendprobe von "Germania-Tod in Berlin".
In der Nacht träumte ich Straßen aus Polizei.
"Das haben Sie alles vorher gewußt."
(Name ist der Redaktion bekannt)
Betrifft: Zuführung am 8.11.89
Am 8.10.89 gegen 14.30 stand ich allein an der Ecke Greifenhagener Straße/Buchholzerstr. Nach einiger Zeit sprachen mich zwei Volkspolizisten an und forderten mich auf, meinen Personalausweis und meinen Plastikbeutel zu zeigen. Nach kurzem Wortwechsel wurde ich zur Klärung eines Sachverhalts in das Revier des ABV in der Greifenhagener Str. gebracht. Dort mußte ich mich an eine Wand stellen. Sprechen und Bewegen waren verboten.
Anschließend transportierte man mich im Polizeiwagen zum Senefelder Platz in das dortige VP-Revier bzw. VP-Inspektion Prenzlauer Berg.
Dort brachte man mich in einen Keller.
Dort saßen bereits ca. 25 junge Leute auf dem Fußboden. Nach Ausziehen und Visitation mit den Worten "Sie werden ja länger bei uns bleiben" durfte ich mich zu den anderen Zugeführten setzen. Polizisten mit Gummiknüppeln in der Hand und Schäferhunden hatten uns zu bewachen. Es wurden mir auf meine Fragen keine Antworten gegeben. Der Umgangston der Bewacher und zuführenden Polizisten war rüde und entsprach in keiner Weise den Vergehen der "Zugeführten".
Unterdessen wurden ständig junge Leute in Handschellen aus den nebenliegenden Zellen zum Verhör geführt.
Ein Arzt mit Begleitung aus dem VP-Krankenhaus verließ den Zellentrakt. Mit oder ohne Patient, war nicht zu sehen.
Nach ca. 3 Stunden wurde ich entlassen mit den Worten: "Wenn Sie nochmal mit uns zu tun bekommen, dann geht es anders aus!"
Eine Kommentierung dieser "Entführung" erspare ich mir!
Zu meiner Person: Ich bin Facharzt für Anasthesiologie und Intensivtherapie.
(Der Name ist der Redaktion bekannt)
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Eine Zuführung ist eine polizeirechtliche Maßnahme der kurzzeitigen Freiheitsentziehung, wurde zunächst aus der polizeirechtlichen Generalklausel von § 14 des in der DDR bis 1968 geltenden Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1.6.1931 abgeleitet. Zuführungen von Personen konnten zur Feststellung der Personalien sowie "zur Klärung eines Sachverhalts" (Sachverhaltsprüfung) durchgeführt werden.
Seit 1968 bildete § 12 VP-Gesetz die Rechtsgrundlage für polizeirechtliche Zuführungen. Im Rahmen des strafprozessualen Prüfungsstadiums war auch eine Zuführung Verdächtiger zur Befragung nach § 95 Abs. 2 StPO/1968 als strafprozessuale Sicherungsmaßnahme zulässig. In beiden Fällen durfte die Zeitdauer 24 Stunden nicht überschreiten. Vom MfS wurden Zuführungen auch als taktisches Instrument genutzt. Sie konnten in eine Inhaftierung münden, aber auch zur Einschüchterung oder zur Anwerbung unter Druck genutzt werden.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Am 8.10.89 wurde ich aus unerklärlichen Gründen von der Bereitschaftspolizei überführt, in die Untersuchungshaftanstalt in Rummelsburg. Gegen 22,15 Uhr erreichte ich über den S-Bahnhof Schönhauser Allee die Schönhauser Allee, die weiträumig von Bereitschaftspolizei und Staatssicherheit abgeriegelt wurde.
Mir wurde der Weg versperrt in Richtung Kastanienallee. So befand ich mich in den Reihen von ungefähr 50 - 80 Leuten, welche sich unzertrennbar in friedlichen Absichten, aus einem inneren Notwendigkeitsgefuhl, zusammengeschlossen hatten. Sobald sich die Polizeikette in Richtung dieser Leute bewegte (auf Vorgesetztenbefehl), hoben diese die Arme unter den Rufen "Keine Gewalt". Es war nicht die Spur von provozierenden Handlungen zu spüren: Jedoch ging diese so oft zitierte "Provokation" von den Polizeieinheiten aus. Plötzlich zerrte man mich durch die Polizeikett und stieß mich in einen bereitstehenden Bus, in dem sich schätzungsweise schon 10 Personen befanden. Keine Begründung meiner Festnahme, jedoch auf meine Frage "warum" die klar und deutliche Antwort "halten sie ihren Mund". Wenig später wurde ein Mädchen in den Bus gestoßen, welches wahrscheinlich aus einem inneren Angstgefühl heraus, laut schrie, und daraufhin von einem Polizisten geschlagen wurde (Knüppel) Anschließend wurden wir (mit Unterhaltungsverbot) nach Rummelsburg gefahren. Im Bus befanden sich 21 Leute. Auf dem Hof der Anstalt verblieben wir ca. eine dreiviertel Stunde im Bus. Auf dem Hof befanden sich 3 Garagen, die voll mit Inhaftierten waren. Diese wurden dann nach und nach, einzeln, im Abstand von 5 m in die Keller geführt. Jeder, der seine Hände in den Taschen seiner Hose oder Jacke hatte, wurde ständig von ein und demselben Polizisten mit dem Gummiknüppel geschlagen. Dann wurden wir aus dem Bus in die Garagen geführt, in welchen wir mit dem Gesicht zur Wand stehen mußten. Nach zwei Stunden lockerten sich die "Sicherheitsmaßnahmen" und wir konnten rauchen und uns auch unterhalten, und setzen. Jedoch als die Vorgesetzten auftrauchten, mußten wir wieder unsere ursprüngliche Ausgangsstellung einnehmen. Nach ca. 3 Std. wurden auch wir in die Keller geführt.
In meiner Zelle, ohne Abzug (16 m²) befanden sich für ca. 3 Std. 46 Mann, davon wurden 3 bewußtlos. Nachdem wir dies den Wachposten mitteilten, kam nach einer halben Std. eine Ärztin, welche bei ihnen den Blutdruck maß. Jedoch auf unseren Hinweis, daß die Sauerstoffversorgung unter keinen Umständen ausreichen würde, erwiderte sie nichts. Nach einer weiteren halben std. wurden 15 Mann in eine andere Zelle untergebracht. Dennoch mußten ständig einige Leute in der Zelle stehen.
Aufforderungen, auf Toilette zu müssen, ignorierte man bis zu einer ganzen Stunde. Innerhalb meiner 28-stündigen Haft trank ich einen halben Plastebecher Wasser und einen Becher mit Tee und aß eine Wurststulle, 1 Butterstulle und eine Bockwurst. Nach ca. 4-5 Stunden wurde von mir ein Effektenprotokoll aufgenommen, und ich wurde in Bezug auf Personalien befragt. Mit Nummer 207 in der Hand wurde eine Gesamtkörperaufnahme gemacht. Danach wurde ich wieder in die Zelle abgeführt. Gegen 16.30 Uhr wurde ich dann zu einem ca. einstündigen Verhör geführt, das ein Hauptmann in Zivil führte. Dieses Verhör verlief in sachlicher Art und Weise. Jedoch wurden mir Fragen gestellt, die mit dem Sachverhalt nichts zu tun hatten (Fragen nach den Eltern, ihrer Arbeitsstelle, ihre Art der Tätigkeit und ihren gesellschaftlichen Funktionen). Auf meine abschließende Frage, wie weiter mit mir und den anderen schon Verhörten verfahren wird, wurde mir keine Antwort gegeben, da es nicht in dem Verantwortungsbereich dieses Hauptmanns liegen würde. Innerhalb dieser 28 Stunden habe ich keinen Beamten antreffen können, der mir Auskunft geben konnte.
Nach meinem Verhör wurde ein Wärter damit beauftragt, die Leute zu begleiten, welche die Toilette benutzen mußten. Dieser gestattete uns, uns ein wenig zu waschen, und etwas Wasser zu trinken. Gegen 24.30 Uhr wurde ich dann zum Empfang meiner Effekten geführt und daraufhin entlassen. Ich wurde mit einem Ordnungsstrafverfahren belegt und mußte unterschreiben, daß ich die Anweisungen von Sicherheitskräften befolgen werde. (Name der Redaktion bekannt)
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Nach dem Volksaufstand von 1953 wurden leicht bewaffnete Einheiten der Volkspolizei aufgestellt, die zur Niederschlagung innerer Unruhen dienen sollten und deswegen kaserniert untergebracht und motorisiert waren. Im Mai 1955 wurden sie der Verwaltung Innere Truppen im Staatssekretariat für Staatssicherheit zugeordnet, aus "kosmetischen" Gründen im Mai 1956 in Bereitschaftspolizei umbenannt. Von August 1956 bis März 1957 unterstand sie wie die Deutsche Grenzpolizei und die Transportpolizei der Hauptverwaltung Innere Sicherheit des MfS. Mit dieser wurden sie im Februar 1957 dem MdI unterstellt. Nach Auflösung der Hauptverwaltung Innere Sicherheit im Monat darauf blieben sie kasernierte Eingreifreserve des MdI. Ihr Mannschaftsbestand wurde ab 1962 aus Wehrpflichtigen rekrutiert.
Die geheimpolizeiliche Überwachung dieser Verbände oblag zunächst der Abteilung VII der Verwaltung Groß-Berlin, ab Jahresende 1955 der neu gebildeten Abteilung 10 der Hauptabteilung I. Diese wurde nach dem Mauerbau als Abteilung 7 in die Hauptabteilung VII eingegliedert. Ihre 77 Mitarbeiter sicherten unmittelbar die beiden Berliner Grenzbrigaden der Bereitschaftspolizei sowie die 3. und 4. Brigade (mit Aufgaben der Reserve). Die übrigen Brigaden in den Bezirken fielen in die Verantwortung sog. Abwehroffiziere der jeweiligen Abteilungen VII der Bezirksverwaltungen. Diese arbeiteten vor Ort und trugen die Uniformen der Bereitschaftspolizisten. Sie sollten über Vorkommnisse und Missstimmungen im Bilde sein sowie potenzielle Deserteure identifizieren. Wenn Bereitschaftspolizisten tatsächlich flüchteten, klärten die Abwehroffiziere die Hintergründe, während die Abteilung 6 der Hauptabteilung IX strafrechtlich ermittelte, wie bei anderen Angehörigen der bewaffneten Organe auch.
Im Jahre 1964 wurde die Zuständigkeit für die Bereitschaftspolizei bei der Abteilung 7 der Hauptabteilung VII zentralisiert und ihr die Planstellen der Abwehroffiziere aus den Bezirken übertragen. Im Oktober 1970 wurde dies indes wieder rückgängig gemacht. Die Hauptabteilung Bereitschaften im Ministerium des Innern verfügte zuletzt über 32 Mitarbeiter, darunter 7 IM und GMS (21,8 Prozent). Die Leitungskader pflegten außerdem offizielle Arbeitskontakte zur Staatssicherheit im Rahmen des politischoperativen Zusammenwirkens.
Die Bereitschaftspolizei sollte im Kriegsfall militärische Aufgaben übernehmen und beispielsweise gegnerische Einheiten auf dem Territorium der DDR "zerschlagen". In Friedenszeiten musste sie oft andere Zweige der Volkspolizei verstärken, etwa bei der Sicherung von Großveranstaltungen, der Suche nach entwichenen Häftlingen oder dem Einbringen der Ernte. Zur Disziplin trug dies wohl nicht bei. Unter den zuletzt rund 14.000 Bereitschaftspolizisten wurden jährlich mehr als 700 disziplinarisch bestraft, meist wegen Trunkenheit oder unerlaubten Entfernens. Etwa wegen Westkontakten führte zudem die Staatssicherheit jährlich rund 5 OV und 85 OPK gegen Bereitschaftspolizisten durch. Diese gingen im Oktober 1989 teilweise brutal gegen friedliche Demonstranten vor, wobei mindestens 64 Bereitschaftspolizisten den Befehl zu diesem Einsatz verweigerten.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Ich möchte über meine Festnahme am Abend des 7. Oktober und die darauffolgenden Stunden berichten. Meine Schrift ist schlecht, da es mir noch schwerfällt, den Stift zu halten (man hatte mir bei der Festnahme die rechte Hand derart verdreht, daß der Daumen
dick angeschwollen war und noch immer beim Schreiben schmerzt).
Am Nachmittag des 7.10. hatte ich mich an der Demo am Alexanderplatz beteiligt, verließ aber die Menge der Demonstrierenden später, um meine Kinder (5 und 7 Jahre alt), die bis dahin von einem Freund beaufsichtigt wurden, ins Bett zu bringen. Nachdem sie eingeschlafen waren, begab ich mich gegen 21 Uhr noch einmal in Richtung Gethsemanekirche, um eine Kerze aufzustellen und somit den bis zu diesem Tage Inhaftierten meine Soliedarität zu zeigen. Ich hatte zwar während der Demo die Gewaltanwendung von Uniformierten in Form von "Einkesselungen" kleinerer, wahllos herausgegriffener Gruppen von Menschen und die Angriffe gegen Presseteams aus westlichen Ländern erlebt, bis zu diesem Zeitpunkt aber Schlagstockeinsätze nicht beobachtet.
Als ich an diesem Abend also gegen 21.30 Uhr an der Ecke Lychener / Stargarder Str. angekommen war, um dann in Richtung Gethsemanekirche zu gehen, mußte ich völlig erschüttert mit ansehen, wie gerade eine Kette von Uniformierten Menschen, die sich in Richtung Kirche bewegen wollten und andere, die von der Kirche kamen, nicht durchließen, weder die von der einen noch die von der anderen Richtung Kommenden. Ich erlebte, daß Menschen wahllos herausgegriffen und von 2 - 3 Uniformierten über die Straße geschleift und mit Schlagstöcken verprügelt wurden. Ich hörte nur noch Schmerzensschreie, die durch Befehle wie "Greifen!" durchbrochen wurden. Ich sah, wie ein älterer Mann vor meinen Augen an den Haaren gepackt und immer wieder mit dem Gesicht auf die Straße geschlagen wurde, von 3 Uniformierten. Völlig verzweifelt darüber, war ich nicht in der Lage, mich von der Stelle zu rühren. Das ganze dauerte etwa 2 - 3 Minuten, bis der Befehl "Alles festnehmen!" die Schreie übertönte. Ich wurde an der Jacke und am Handgelenk gegriffen und auf einen der bereitstehenden LKW's "geworfen". Neben mir erging es vielen Unbeteiligten genauso: Davonlaufende Bürger wurden ergriffen und aufgeladen. Vom LKW aus mußte ich zusehen, wie wahllos auf alles, was sich bewegte mit diesen Schlagstöcken eingedroschen wurde. Eine ältere Bürgerin mit einem Krückstock, die ihren Hund ausgeführt hatte, rief verzweifelt unter Tränen: "Oh Gott, was tut ihr denn (zu den Uniformierten), es könnten doch eure Brüder und Schwestern sein! Wir sind doch ein Volk. Seid doch froh, daß wir alle noch hier sind!" Die Antwort wurde von einem Uniformierten gegeben, der wohl die Befehle zu erteilen hatte (es war dieselbe Stimme, die "alles festnehmen" geschrien hatte): "Halten Sie den Mund, sonst sind Sie auch da oben!" Und deutete mit seinem Schlagstock in Richtung der LKW's.
Mit mir zusammen wurde ein junger Mann [geschwärzt], der beobachtet hatte, daß man mich festgenommen hatte und daraufhin mit den Worten: "Lassen Sie die Frau los, sie hat doch nichts getan!" hinter uns herrannte, ebenfalls ergriffen und auf den LKW geworfen. Obwohl er sich in keiner Weise dagegen wehrte, schlug man ihn mit dem Gummiknüppel und verletzte seine linke Hand, so daß sich auf dem Handrücken ein riesiges Hämatom in Sekundenschnelle bildete. Nachdem sich ca. 20 Personen auf dem Wagen befanden, 3 Uniformierte aufgesprungen waren, wurde gestartet, und mit uns gemeinsam bewegten sich 5 LKW's in Richtung Emmanualkirchstraße, Polizeirevier. Das konnten wir nur sehen, gesagt hatte uns keiner dieser Uniformierten etwas.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.